Auf den ersten Blick
»Scarborough.«
Drinnen wurde sehr schnell sehr deutlich, dass die Kicks im Grunde nicht die Vorband von Play&Record waren. Oder technisch gesehen waren sie es wohl, aber nur technisch gesehen. Sie waren eine von sechs Bands, die ausgewählt worden waren, dem Publikum an einem langen Abend einzuheizen, bis die großen Jungs kamen. Und wir hatten sie um gut zwei Stunden verpasst.
Mit den schicken, gelben Bändern hatten wir es bis in die Bar im ersten Stock geschafft, wo Männer, die offensichtlich in Bands spielten oder für Bands arbeiteten oder früher mal in Bands gewesen waren, Plastikbecher in Händen hielten und mit ihren Hüten spielten.
»Hi!«, sagte Abbey und schlang ihre Arme um einen von ihnen, und ich stieß Dev an, um ihm zu zeigen, dass jetzt der Moment für meinen großen Auftritt gekommen war. Dev sollte merken, dass ich wusste, wie man mit Rock’n’Roll-Kids wie den Kicks abhing.
»Wie läuft’s denn so, Mann?«, sagte ich, als ich densel ben Typen umarmte. »Hab dich seit dem Phoenix gar nicht mehr gesehen! Läuft ja super! Hab euch im Radio gehört!«
»Jason«, sagte Abbey. »Das ist Paul. Er ist nicht bei den Kicks.«
»Na klar!«, bluffte ich. »Wusste ich doch. Hab ich mir schon gedacht.«
»Er ist Puppenspieler.«
»Schön«, sagte ich und sah, dass Dev mich anlächelte und den Augenblick genoss, in dem ich von fast cool zu nicht mal ansatzweise cool wurde. »Ich liebe Puppen.«
»Was für Puppen liebst du denn?«, fragte Paul etwas kühl, was man von einem Puppenspieler nicht erwarten würde.
»Ich liebe alle Puppen. Früher hatte ich auch eine, als Kind. Einen Fuchs.«
Paul musterte mich. Noch nie hatte mir jemand, der mit Puppen spielte, das Gefühl gegeben, so klein zu sein.
»Paul ist …«, eine Mikropause, ein Sekundenbruchteil von irgendwas, »… mein Freund.«
»Oh!«, sagte ich und gab mir Mühe, so auszusehen, als freute ich mich für die beiden.
»Oh«, sagte Dev.
»Ja«, sagte Paul. »Mal ja, mal nein, dann wieder ja.«
Na toll.
»Jason ist Journalist«, sagte sie mit leicht abfälligem Unterton. »Jason Priestley.«
»Haha!«, sagte Paul. »Schlechte Zeiten seit 9021 0 ? «
»Haha!«, ha-hate ich generös.
»Er hat über die Band geschrieben. Will – glaube ich – ein Interview mit ihnen machen, oder?«
Sie warf mir ein bedauerndes Lächeln zu, und Paul tat es ihr mit einem gelangweilten nach. Irgendwas stimmte mit diesem Paul nicht. Er sah gut aus, ja. Sogar stylish, würde ich sagen – er sah aus, als passte er hierher, in seinen engen Jeans und mit dem billigen Schmuck, den man bei Top Man an der Kasse bekam. Aber außerdem sah er so aus, als könnte er sich ohne Weiteres einen Ziegenbart und einen Pferdeschwanz stehen lassen. Er klang wie jemand mit Ziegenbart und Pferdeschwanz. Dass er weder das eine noch das andere trug, war vielleicht das Beunruhigendste an ihm.
»Journaille«, sagte er. »Ihr mögt die Glitzerwelt. Die Scheinwerfer und die Mikrofone. In meiner Welt spielt ihr keine große Rolle. Aber schließlich spiele ich in eurer ja auch keine.«
»Nicht?«
»Hast du schon mal einen Puppenspieler auf dem Cover von Time Out gesehen?«, sagte er, und ich merkte, dass seine Augen müde und gleichgültig waren.
»Das ist ein gutes Argument«, sagte ich, um freundlich zu sein.
»Wahrscheinlich ist der Job als Journalist gar nicht so schlimm«, sagte er. »Bei solchen Veranstaltungen sieht man wichtig aus, und wenn man darüber schreibt und es dann erscheint, sieht man auch wieder wichtig aus, aber im Grunde macht ihr gar nichts Eigenes, oder?«
Langsam ging mir dieser Puppenspieler auf die Nerven. In mir wuchs der Wunsch, diesem Puppenspieler ebenfalls auf die Nerven zu gehen. Er grinste selbstzufrieden, war vermutlich stolz darauf, einer von denen zu sein, die glauben, sie sagen es nur, wie es ist, und wenn es dich kränkt, dann ist es dein Problem. Das glaub ich dir aufs Wort. Denn dadurch kommst du dir wichtig vor.
Bestimmt hatte er schon Unmengen von Leuten niedergemacht, im Schneidersitz auf Folkloredecken hockend, im Keller von besetzten Häusern, mit dem immer gleichen schmalen Lächeln.
»Aber mach nur, wie du meinst«, sagte er. »Verkauf uns das nächste große Ding, damit sie uns Carlsberg und Pepsi andrehen.«
Ich konnte nicht umhin festzustellen, dass er selbst Carlsberg trank. Ich sah, dass auch Abbeys Blick auf sein Bierglas fiel, doch sie biss sich auf die Unterlippe und sah mich reumütig an.
Ich bin mir ziemlich
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