Auf den Flügeln der Sehnsucht
Schwierigkeiten war dieses Bekenntnis jetzt über seine Lippen gekommen, doch es erreichte nicht mehr sein Ziel. "Doch jetzt, scheint mir, hab ich dich verloren."
Er trat aufs Gas und fuhr davon, ohne die beiden noch eines Blickes zu würdigen. Er konnte es nicht ertragen, Lena, seine Lena, dabei zu beobachten, wie sie mit verliebten Augen auf einen anderen Mann zuging.
Lena hatte große Mühe, sich ihre Freude über Werners Besuch nicht zu deutlich anmerken zu lassen. Er war zu ihr gekommen, nachdem er sich tagelang nicht mehr hatte blicken lassen.
"Da sind Sie ja wieder", sagte sie nur.
Werner nickte. "Hoffentlich hab ich nicht gestört. Hat der Knecht die Milch geholt?"
Einen Moment lang ärgerte sich die Bäuerin über seine Worte, die in ihren Ohren hart und abschätzend klangen. Doch dann sagte sie sich, dass er es ja gar nicht besser wissen konnte. "Frank ist mein Verwalter und mein bester Freund noch dazu", erklärte sie ihm mit Nachdruck. "Möchten Sie wieder ein Glas Milch?"
"Hoffentlich hab ich Sie jetzt nicht beleidigt."
"Weshalb?"
"Sie schauten eben drein, als wollten Sie mir ins Gesicht springen. Ich hab es wirklich nicht böse gemeint. Sagten Sie, das sei Frank gewesen?"
Lena nickte verwundert.
"Schade, dass ich das nicht früher gewusst habe." Er blickte dem davonfahrenden Auto fast sehnsüchtig nach. "Ich hätte mich gern eine Weile mit ihm unterhalten. Er soll ein sehr vernünftiger Mann sein."
"Das ist er." Zu gern hätte Lena weitergefragt, doch sie wollte nicht neugierig erscheinen. Sie deutete auf den Stuhl und bat ihn, sich zu setzen. Dann holte sie ein Glas und füllte es mit frischer, fast noch kuhwarmer Milch. "Möchten Sie auch wieder ein Brötchen?"
Er schüttelte den Kopf. "Ich... hab schon gefrühstückt.“Sie mögen Frank sehr gern, nicht wahr? Sind Sie...?"
"So viele Fragen auf einmal?" Lena lächelte. "Ja, ich mag Frank wirklich von Herzen gern. Er ist sehr fleißig und liebt die Landwirtschaft, wie er mir in der Vergangenheit schon oft bewiesen hat. Eigentlich wären wir beide ein sehr produktives Paar, wenn nur..." Sie brach ab, denn eigentlich war sie es nicht gewöhnt, ihr Herz auf der Zunge zu tragen. Sie kannte Werner Saalbach kaum, obwohl er ihr seinen Kummer erzählt hatte. Doch das war etwas ganz anderes.
"Sie lieben ihn nicht?"
"Wenn ich das nur wüsste." Lena zuckte die Schultern. "Er ist jedenfalls ein sachlicher Mensch durch und durch."
"Irren Sie sich nur nicht", widersprach Werner und lehnte sich ein wenig zurück, soweit es die harte Holzlehne seines Stuhles zuließ.
"Wie können Sie so etwas sagen, da Sie ihn doch gar nicht kennen."
"Ich hab seine Schwester Marion kennengelernt. Und die redet in ganz anderen Tönen von ihrem Bruder. Fast könnte man meinen, es handle sich um zwei verschiedene Menschen." Forschend blickte er sie an.
Lena fühlte, wie es ihr einen Stich ins Herz gab, als Werner seine Bekanntschaft mit Marion zugab. Deshalb also hatte er sich in den letzten Tagen bei ihr so rar gemacht. Ziemlich rasch hatte er eine neue Seelentrösterin gefunden, die nicht so weit entfernt war wie sie.
"Hab ich Sie verärgert, Lena?" Sanft fasste der Besucher nach ihrer Hand.
Lena blickte ihn an und stellte verwundert fest, dass der Zauber, der ihre noch so junge Beziehung umgeben hatte, mit einem Mal verschwunden war. Hatte sie sich das alles etwa nur eingebildet? Waren in ihren einsamen Träumen hier auf dem Berg Wünsche erwacht, die ohnehin nie zu realisieren gewesen wären?
Insgeheim musste sie sich eingestehen, dass diese Überlegungen vermutlich richtig waren. Was sollte ein Lehrer auf einem Bauernhof tun? Sie brauchte einen Mann an ihrer Seite, der arbeiten konnte, der gern mit anpackte und sich auch nicht scheute, dass seine Hände dabei schmutzig wurden.
"Marion muss ein liebes Mädchen sein. Das jedenfalls hat Frank mir berichtet", wechselte sie hastig das Thema. "Mir scheint, Sie sind zu derselben Erkenntnis gekommen."
Werner lächelte verträumt vor sich hin. "Sie hat ein wenig Ähnlichkeit mit Tina, nur ist sie viel weicher und sanfter. Tina war ein Mensch, der mit beiden Beinen fest am Boden der Wirklichkeit stand, bis... ja, bis sie ihn dann doch verloren hat. Marion jedoch schafft es anscheinend, jedem noch so schlimmen Ereignis irgendeinen tieferen Sinn abzugewinnen. Sie wertet auch Schicksalsschläge als eine
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