Auf den Flügeln des Adlers
Büro. Von dort kam er mit einem großen Stapel ungeöffneter Briefe zurück. Zu seinem Entsetzen erkannte Patrick auf den Umschlägen seine eigene Handschrift. Die Briefe, die er an Catherine geschrieben hatte!
»Als George starb«, erklärte Eamon ruhig, »bestimmte er in seinem Testament, dass ich seinen Schreibtisch öffnen und den Inhalt an mich nehmen sollte. Wahrscheinlich ist es schon ein Vertrauensbruch, dass ich Ihnen die Briefe überhaupt zeige. Nach Ihrer Abreise in den Sudan ging Catherine immer wieder zur Post, aber ihr Großvater hatte dafür gesorgt, dass sie keine Korrespondenz von Ihnen erhielt. Er erreichte sein Ziel. Als sie nichts von Ihnen hörte, veränderte sie sich. Sie war sehr unglücklich und glaubte wahrscheinlich, Sie hätten sie vergessen.«
Patrick starrte auf den Stapel ungeöffneter Briefe, die Eamon auf den Tisch gelegt hatte. Kein Wunder, dass er nichts von ihr gehört hatte! »Jetzt, wo George in die ewige Ruhe eingegangen ist, kann ich Ihnen die Briefe wohl zurückgeben«, setzte der Priester hinzu. »Schließlich sind sie Ihr rechtmäßiges Eigentum.«
Patrick nahm einen der Umschläge von dem Stapel. Sofort erkannte er die winzigen dunklen Flecken am Rand: Blut. Den Brief hatte er wenige Stunden nach der entsetzlichen Schlacht bei McNeill’s Zareba geschrieben. Obwohl er versucht hatte, den kostbaren Umschlag zu schützen, war das Blut aus der Wunde, die er sich in der Schlacht zugezogen hatte, seinen Arm hinuntergelaufen.
Eamon setzte sich wieder an den Tisch. Das Schlimmste an der tragischen Geschichte kam noch.
»Sie sagten, sie sei einem Mann gefolgt.« In Patricks Stimme lag eine tödliche Drohung. »War es Brett Norris?«
Eamon blinzelte, als könnte er damit die Frage verdrängen. Er antwortete nicht sofort, sondern füllte zuerst Patricks Glas mit dem restlichen Whisky. »Trinken Sie, Patrick. Für das, was ich Ihnen erzählen werde, brauchen Sie die ganze Kraft des Geistes aus der Flasche.« Gehorsam schluckte Patrick den Whisky hinunter, während er darauf wartete, was Eamon ihm zu sagen hatte. »Ein Mann kam in unser Dorf, aber es war nicht Mister Norris, nach dem Sie gefragt haben, sondern ein Mensch, der Frieden für seine gequälte Seele suchte. Ich selbst bin ihm nicht begegnet, aber im Dorf gab es lange kein anderes Gesprächsthema. Sein Leben soll traurig gewesen sein, und er versuchte, sich selbst in der Malerei zu finden. Catherine beauftragte ihn damit, ihr Porträt zu malen. Vergessen Sie nicht … sie hatte jede Hoffnung aufgegeben, Sie jemals wiederzusehen.«
»Wer war dieser Mann?«, knurrte Patrick drohend, doch Eamon hob abwehrend die Hand. Patrick musste sich gedulden, denn es gab viel zu erzählen.
»Nun, er glich Ihnen sehr, Patrick. Ein großartiger Mann, der Catherine nicht ermutigte, wenn man den Dörflern glauben will. Er war alt genug, ihr Vater zu sein. Aber Catherine verliebte sich in ihn, was im Dorf natürlich nicht unbemerkt blieb. Als er sich ihrer Gefühle bewusst wurde, verließ er den Ort, aber sie folgte ihm.« Eamon legte eine kurze Pause ein, um den Mut zu finden, das Ende der Geschichte zu erzählen. »Der Mann, dem sie folgte, ist … Ihr Vater.«
Patrick erbleichte. Der Raum verschwamm vor seinen Augen, und seine Ohren dröhnten wie nach anhaltendem Musketenfeuer. Sein Vater1. Sein Vater war doch tot! Er war wie erstarrt vor Entsetzen über diese Enthüllung. »Mein Vater ist vor meiner Geburt ums Leben gekommen!« Nur mühsam brachte er die erstickten Worte über seine Lippen.
»Nein, Patrick«, erwiderte Eamon sanft, während er über den Tisch nach Patricks Hand griff. »Ihr Vater war all die Jahre am Leben … das wusste jeder im Dorf. Er hatte viele Feinde. Ich nehme an, aus diesem Grund hat er weder mit Ihnen noch mit sonst jemanden aus Ihrer Familie in Sydney Kontakt aufgenommen.«
»Catherine ist also Gott weiß wo – mit meinem Vater«, wiederholte Patrick verzweifelt. Flehend blickte er Eamon an. »Um Gottes willen, wenn Sie wissen, wo die beiden sein könnten, so sagen Sie es mir. Ich werde sonst wahnsinnig.«
»Wenn ich es wusste, würde ich es tun, das schwöre ich Ihnen bei meinem Amt und allem, was der wahren Kirche heilig ist, Patrick«, gab Eamon zurück. »Aber im Dorf weiß niemand etwas.«
Patricks Atem ging in kurzen Stößen, als wäre er kilometerweit gelaufen. Sein Vater …er lebte … und die Frau, die er über alles liebte, war bei ihm1. Es war wie ein entsetzlicher Witz auf seine Kosten.
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