Auf den Flügeln des Adlers
In scharfem Galopp führte er die Polizisten nicht etwa von Calder und den anderen weg – er floh um seines eigenen Lebens willen.
Von ihm aus konnten Calder und die anderen zur Hölle fahren, aber er wollte nicht dabei sein.
Inzwischen hatte er die halbe Flasche geleert. Sein Kopf drehte sich, und er beugte sich vor und erbrach sich. Stöhnend wischte er sich mit dem Ärmel den Mund ab. Im Augenblick war es ihm fast egal, ob ihn die Polizei erwischte. Er konnte das Gelübde nicht erfüllen, das er seiner Mutter gegeben hatte, und das nur, weil er in schlechte Gesellschaft geraten war.
52
Als Patrick in Enids Haus eintraf, nahmen Colonel George Godfrey und seine Großmutter eben in einer von Weinreben überwachsenen Laube im Garten den Nachmittagstee ein. Trotz des Sturms, der sich über der Stadt zusammenbraute, wollte Enid während ihrer Unterhaltung mit dem Colonel den Panoramablick auf den Hafen unter ihnen genießen. Auf Silbertabletts waren feine Lachshäppchen und Kremtörtchen angerichtet, und sie tranken Tee aus kostbaren Porzellantassen. Lady Macintosh zeigte sich überrascht, dass ihr Enkel schon so früh zu Hause war.
»Guten Tag, Enid«, sagte Patrick steif, als er sich ihnen in der Laube anschloss. »Colonel.« Irritiert bemerkte Enid seine düstere Miene, und es fiel ihr auch sofort auf, dass er sie nicht wie üblich auf die Wange küsste.
»Das ist aber eine angenehme Überraschung, mein Junge«, sagte Godfrey, während er sich von seinem Stuhl erhob, um Patrick zu begrüßen.
»Schön, dass ich Sie auch hier antreffe.«
»Stimmt etwas nicht, Patrick?«, fragte Enid besorgt. »Du wirkst so bekümmert. Ich werde Betsy rufen, damit sie uns mehr Tee bringt.«
»Ich fürchte, mein Magen verträgt im Augenblick nicht einmal Tee«, erwiderte Patrick, der immer noch vor seiner Großmutter und dem Colonel stand. »Ich habe etwas Wichtiges mit dir zu besprechen.«
»Soll ich vielleicht gehen?«, fragte Godfrey höflich. Er stellte seine Tasse ab.
Patrick schüttelte den Kopf. »Nein«, erwiderte er mit finsterer Miene. »Ich möchte über etwas reden, das auch Sie betrifft, Colonel. Bitte bleiben Sie.«
Godfrey warf Enid einen fragenden Blick zu. Sie nickte, fühlte sich aber zunehmend beklommen. Diese merkwürdige Anspannung, die über ihrem Enkel lag wie ein schwerer Mantel, hatte sie noch nie an ihm gesehen.
»Warum hast du mir nicht gesagt, dass du meinen Vater im vergangenen Jahr engagiert hast, damit er im Sudan nach mir sucht?« Patricks Frage war so direkt, dass Enid nach Luft rang. Wie hatte sie je glauben können, sie könnte diese Angelegenheit geheim halten? Es war schwer genug gewesen, Patrick nicht merken zu lassen, dass sie seit Jahren wusste, dass Michael Duffy noch am Leben war.
»Wie hast du das herausgefunden?«
»Ich habe heute Morgen meine Tante Kate getroffen.«
»Die Schwester deines Vaters.« Enids Antwort erweckte den Eindruck, als wäre seine Tante mehr mit seinem Vater als mit ihm selbst verwandt.
»Meine leibliche Tante«, verbesserte er.
»Ich habe es dir nicht erzählt, Patrick«, erwiderte sie ruhig, »weil dein Vater in unserer Kolonie wegen Mordes gesucht wird.«
»Ist das der wirkliche Grund oder nur ein Vorwand, Enid?«, fragte er wütend. »Hattest du gehofft, ich würde nie erfahren, dass er noch lebt, damit ich nicht versuche, ihn zu finden?«
»Es kann dir nur schaden, wenn man dich mit einem Verbrecher in Verbindung bringt«, erwiderte sie. »Soweit ich weiß, hat dein Vater keinen Kontakt zu seiner Familie in Sydney aufgenommen. Dem entnehme ich, dass er für alle anonym bleiben will, auch für dich.«
»Ich bezweifle, dass das stimmt. Schließlich war er bereit, mich zu suchen.«
»Auch wenn du an meinen Worten zweifelst, darfst du nicht vergessen, dass er in der Vergangenheit nie versucht hat, mit dir in Verbindung zu treten.«
»Vielleicht war es ihm ja nicht möglich«, hielt Patrick dagegen. »In den letzten zwölf Jahren habe ich am anderen Ende der Welt gelebt. Erst war ich in England, dann bei der Armee. Es kann sein, dass er mich sehen wollte, aber schon aus diesem Grund nicht konnte.«
»Das bezweifle ich, Patrick«, höhnte sie verächtlich. »Würde ein Vater so handeln, der seinen Sohn wirklich liebt?«
In ihrer Erwiderung lag eine Spur von Wahrheit. Warum hatte Michael nicht versucht, mit ihm Kontakt aufzunehmen?
Der winzige Zweifel wucherte wie eine Krebsgeschwulst. Patrick wandte sich Godfrey zu, der schützend neben Enid stand
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