Auf den Flügeln des Adlers
Schlange verschwinden.
Wortlos ließ er den Revolver fallen, packte seine Mutter bei den Armen und führte sie in die Hütte. Rebecca blickte mit weit aufgerissenen, verwirrten Augen auf ihre Mutter, die unter Schock stand und unkontrollierbar zitterte.
Willie führte sie zum Bett und legte sie sanft hin. Dann suchte er verzweifelt nach dem schärfsten Häutemesser, das er finden konnte. Rebecca fing an zu weinen, als sie sah, dass Willie den Ärmel ihrer Mutter aufriss und an den Bissstellen einen tiefen Schnitt setzte. Jenny unterdrückte einen Schrei, als die scharfe Klinge in ihr Fleisch schnitt. Sie wollte nicht, dass ihre Tochter merkte, welche Schmerzen sie litt. Aber die tödliche Wirkung des Gifts ließ sich nicht aufhalten. Willies Bemühungen waren vergebens.
Als Jenny spürte, dass der Tod nahe war, sprach sie von vielen Dingen zu ihrem Sohn: von der Liebe, die sie für ihn und die anderen Kinder empfand, von ihrer Liebe zu Ben – und davon, wer Willies leiblicher Vater war. In Jennys Augen brannte ein wildes Feuer, während sie ihm von dem entsetzlichen Eid erzählte, den sie als Dreizehnjährige geschworen hatte, als sie versuchte, ihn in einem schmutzigen, von Ratten verseuchten Loch in Sydneys Slums großzuziehen.
Draußen vor der Hütte starrte Willie in die stille, heiße Nacht hinaus und brütete über dem, was seine Mutter ihm vor ihrem Tod erzählt hatte. Durch einen Schlangenbiss war seine Welt in Sekundenbruchteilen zerstört worden, und seine Gedanken waren noch wie betäubt von dem plötzlichen Verlust. Bitterkeit und schrecklicher Hass erfüllten ihn. Sie war aus dem Leben gerissen worden, und ihr Tod hatte eine Wunde hinterlassen, die niemals heilen würde. Aber sie hatte ihn auch einen Eid schwören lassen, bei allem, was ihm heilig war.
Der Name seines Vaters war Granville White. Eines Tages würde er ihn für die Jahre des Leidens zur Rechenschaft ziehen, die seine Mutter als Kind seinetwegen hatte durchleben müssen. Das Leid war so entsetzlich gewesen, dass sie es erst über sich brachte, davon zu sprechen, als sie schweißüberströmt und sich erbrechend im Sterben lag. Das von panischer Angst gepackte Kind hatte aus seiner Mutter zu ihm gesprochen, während sie schläfrig wurde und ihn schließlich für immer verließ. Granville White, ein feiner Herr aus Sydney …
Er spie auf den Boden, als hätte allein der Name seine Gedanken besudelt. Vage wurde er sich des Blutgeschmacks in seinem Mund bewusst. Es war das Blut seiner Mutter, auf das er geschworen hatte, seine Rechnung mit seinem Erzeuger auf die eine oder andere Art zu begleichen. Er würde Granville White, der seine Mutter rücksichtslos missbraucht und dann von sich gestoßen hatte, zur Verantwortung ziehen. Ganz allein hatte sie um ihr Überleben kämpfen müssen, in einer Welt, in der die Männer ihren Körper benutzten, um ihre Lust zu befriedigen.
O ja, er erinnerte sich an die brutalen Bisse, die ihr die wie Tiere grunzenden, betrunkenen Goldgräber zugefügt hatten. Er erinnerte sich, wie sie vor Schmerzen geschrien hatte, wenn die Männer vor Lust lachten, und an ihr verzweifeltes Weinen in Schlamm und Regen, als sie fast verhungert wären. Ohne an sich selbst zu denken, hatte sie für ihn um Reste gebettelt, so stark war ihre Mutterliebe gewesen. Nur das gütige Eingreifen von Kate O’Keefe hatte sie gerettet.
»Willie?«
Vor ihm stand der kleine Jonathan. In der Hand hielt er eine Öllampe, in deren Licht sein vom Kummer gezeichnetes, schmutziges Gesicht völlig blutleer wirkte. »Was sollen wir tun?«, fragte er, benommen von seiner Verzweiflung, ein Zehnjähriger, dem das Unvorstellbare widerfahren war.
»Frag Ben«, fauchte Willie. »Der ist schließlich dein Vater!«
»Aber deiner doch auch.« Jonathan runzelte die Stirn, ohne zu begreifen, warum Willie so wütend war. »Ich dachte bloß, du weißt vielleicht, was wir tun sollen …«
»Und ob ich das weiß«, zischte Willie, während er seinem Halbbruder die Lampe entriss. »Keine Ahnung, was ihr tut, aber ich bringe jetzt die verfluchte Schlange um, die meine Mutter auf dem Gewissen hat.«
Noch nie hatte Jonathan Willie so wütend gesehen. Es war eine gefährliche Wut, die den heftigen Gewittern glich, welche sich an den heißen, schwülen Tagen vor Beginn der Trockenzeit über dem Land am Golf zusammenbrauten – eine drohende Stille, die sich in Blitzen entlud, denen die stärksten Bäume zum Opfer fielen. Verängstigt beobachtete er, wie
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