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Auf den Flügeln des Adlers

Titel: Auf den Flügeln des Adlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Watt
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bieten. Jetzt würde Jenny dort schlafen, solange der Baum lebte.
    »Ich grab das Loch, und du machst den Sarg«, befahl Ben brüsk. »Im Schuppen ist Holz, das kannst du dafür nehmen.«
    Er konnte seinen Kummer kaum im Zaum halten, aber er wusste, welche Verantwortung auf ihm ruhte. Jenny hätte nicht gewollt, dass er seinen Gefühlen freien Lauf ließ und seine Familie vernachlässigte.
    »Jetzt?«, fragte Willie leise. Es fiel ihm schwer, seine Mutter der Erde zu überantworten, denn dann würde er sie nie wiedersehen.
    »Jetzt1.«, fuhr Ben ihn an. Ihm war nicht danach, Fragen zu beantworten. Doch dann besann er sich. »Tut mir Leid, Willie.« Sanft legte er dem Jungen die Hand auf die Schulter. »Ich …« Er brach ab. Ohne Jenny fand er keine Worte, um die Leere zwischen ihnen zu füllen. »Wir machen uns besser an die Arbeit, bevor es zu heiß wird«, schloss er mürrisch.
     
    Noch bevor die Sonne hoch über dem niedrigen Buschwerk stand, wurde Jenny sanft in ihr Grab gebettet. Rebecca kniete nieder, um ein Sträußchen trockener Wildblumen auf den frischen Erdhügel zu legen. Dann trat sie in den Schatten ihres Vaters zurück.
    Auch Jonathan und Saul standen neben ihrem Vater, während sich Willie ein wenig abseits hielt und auf die dunkelrote Erde starrte.
    Kein Wort wurde am Grab gesprochen. Schweigend erinnerte sich die Familie an ihre lebendige, lachende, weinende, schimpfende, liebende Mutter und Ehefrau. Keine Tränen, nur trockene, rote Augen, die keine salzige Flüssigkeit mehr hervorbringen wollten. Keine Gefühle, nur Schock und Betäubung und untröstlicher Kummer. Kein Geräusch außer dem trägen Summen der Fliegen und dem einsamen Krächzen einer fernen Krähe.
    Zum Schutz gegen Dingos wollten sie Steine auf die Erde legen, aber das war eine Arbeit für die frühen Abendstunden, wenn die Sonne nicht mehr so heiß vom Himmel brannte.
    Jennifer Rosenblum, dreißig Jahre alt, Mutter von vier Kindern und zehn Jahre lang Ehefrau von Ben Rosenblum, würde für immer im Schatten des Pfefferbaums schlafen, den sie vor allen Gefahren des Lebens an der Grenze behütet und großgezogen hatte. Mit der Zeit würde der Baum wachsen und seine Wurzeln wie liebende Finger um die sterblichen Überreste der Frau legen, deren Körper ihn nun nährte.
    Die ganze Nacht saß Ben am Grab seiner Frau und sprach mit ihr. Er plauderte mit ihr, als würde sie am Tisch in der Hütte Socken stopfen oder ein neues Kleid für Becky nähen, sprach von den Belanglosigkeiten, von denen die Liebe zwischen Mann und Frau lebte.
    Immer wieder unterbrach er seinen Monolog, um auf ihre süße, vertraute Stimme zu lauschen, die er doch nur in seiner Einbildung hörte. Er erinnerte sich daran, wie sie sich gewünscht hatte, dass die Kinder eine Ausbildung erhielten. Besonders für Becky erhoffte sie sich etwas anderes als das einsame Leben an der Grenze.
    Stunden um Stunden sprach er mit leiser Stimme, während die Tränen über seine Wangen in seinen buschigen Bart rollten, bis er schließlich in den tiefen Schlaf der Erschöpfung fiel.

6
    Es war ein üppiges Mahl, das an George Fitzgeralds Tafel serviert wurde, aber Patrick hatte den Geschmack an Rehbraten verloren. Genauso wenig interessierten ihn die farbenfrohen und recht gewagten Anekdoten über die Sitten und Gebräuche des keltischen Irland, die Professor Ernest Clark zum besten gab. Nur widerwillig ließ er sich von Sir Alfred Garnett zu einer Schilderung seiner Erlebnisse in Tel-el-Kibir bewegen, und mit dem Richter James Balmer zu seiner Linken und dem Ehepaar Norris, das ihm gegenübersaß, wechselte er lediglich ein paar höfliche Worte.
    Captain Patrick Duffy brütete vor sich hin, und sein selbst auferlegtes Schweigen konnte fast als mürrisch gelten. Der vom reichlich fließenden Wein angeregten Konversation entnahm er, dass Henry Norris beträchtliche Anteile an walisischen Kohleminen, englischen Eisenbahnen und Stahlwerken in Birmingham hielt. Obwohl Norris offenbar große Reichtümer besaß, fehlte seinen Manieren der Schliff der alten Familien. Seine Gestik und Sprache konnten seine Jugend in den Gassen von Newcastle nicht verleugnen.
    Weiter unten am Tisch beherrschten Sir Alfred Garnett und dessen Ehefrau, Lady Jane, das Gespräch. Sir Alfred redete ununterbrochen von Fuchsjagden und Vollblutpferden. Wenn er die anderen Gäste nicht damit erfreute, hackte er auf Richter George Balmer herum, der die Geißel der Fenier noch nicht ausgerottet habe, die in der

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