Auf den Flügeln des Adlers
Grafschaft Leben und Besitz bedrohten. Patrick war der laute, streitsüchtige Ritter der Königin sofort unsympathisch gewesen, weil er ein Feind der katholischen Iren war, die schließlich zu seinen Vorfahren gehörten.
Am Ende des Tisches, neben Sir Alfred und dessen Frau, saßen Reverend John Basendale und seine Frau Tess. Der Reverend war Vikar der anglikanischen Kirche von Irland im Dorf und häufig bei George Fitzgerald zum Essen eingeladen. Nicht dass George ihn interessant gefunden hätte – im Vergleich zu Eamon O’Brien wirkte er kraft- und farblos –, aber zumindest konnte er das Dankgebet sprechen, wie es sich für gute Anglikaner gehörte. Der Vikar und seine Frau lächelten pflichtbewusst zu Sir Alfreds Geschichten, äußerten sich sonst jedoch kaum.
An Patricks Tischseite saß der distinguiert wirkende Amerikaner Randolph Raynor mit seiner hübschen Frau Ann. Wie die Norris’ war das Ehepaar bei Sir Alfred zu Gast. Der Amerikaner hatte in seinem Heimatland in Eisenbahnen und Vieh investiert, und es war offenkundig, dass die gemeinsamen Interessen der Raynors und der Norris’ über die Kontinente hinwegreichten. Randolph Raynor war ein großer, kräftiger Mann, der mit leiser Stimme sprach, aber eine Aura der Autorität verbreitete. Seine militärische Vergangenheit war unverkennbar. Das war nicht überraschend, immerhin hatte er als junger Colonel im amerikanischen Bürgerkrieg unter Lincoln in einer Milizeinheit der Nordstaaten gedient.
Neben Ann Raynor saß die Norris-Tochter Letitia. Mit achtzehn war sie zu einer sehr anziehenden jungen Dame erblüht, die für einen ihrer würdigen jungen Mann aus guter (und wohlhabender) Familie eine ausgezeichnete Partie darstellen würde. Rabenschwarzes Haar und dunkle Augen kontrastierten mit der milchweißen Haut, die sie mit einem Hauch Rouge betont hatte. Beim ersten Blick auf den großen, breitschultrigen jungen Captain in der Uniform der Hochländer war ihr klar geworden, dass alle Männer in ihrem Leben nichts bedeuteten. Ohne zu zögern, wäre sie mit dem flotten britischen Offizier durchgebrannt.
Letitia war ein prüder Snob und konnte Catherine, die ihr in ihrer Art zu frei und zu wenig damenhaft war, nicht leiden. Oder war das nur blanke Eifersucht, weil alle Männer mit unverhohlener Bewunderung das Mädchen mit dem feuerroten Haar und dem bezaubernden Lächeln anstarrten? Beleidigt schmollte Letitia vor sich hin, spielte mit ihrem Essen und fuhr eine der alten Dienerinnen an, die ihr einen Teller hingestellt hatte. Es gefiel Letitia gar nicht, dass sie so weit von dem gut aussehenden Captain Patrick Duffy entfernt saß.
Am einen Ende des schweren Eichentisches hatte George als Gastgeber Platz genommen. Am anderen Ende der Tafel, die von einer langen Reihe Kerzen in silbernen Leuchtern erhellt wurde, saß seine schöne Enkelin, die es aufs Beste verstand, eine Gesellschaft zu unterhalten. Der sanfte gelbe Kerzenschein ließ die kostbaren Juwelen an den schlanken Hälsen und zarten Ohrläppchen der Damen funkeln. Der gleiche sanfte Glanz spiegelte sich in den polierten Messingknöpfen und Abzeichen an Patricks prächtiger Uniform und in den Kristallgläsern, aus denen die Gäste ausgezeichnete französische und spanische Weine tranken.
Nun schlug George Fitzgerald mit einem Silberlöffel gegen das Glas vor sich, um das Stimmengewirr für einen Moment zum Verstummen zu bringen.
Patrick erhob sich mit den anderen Gästen, starrte aber düster auf die Tischplatte. Brett Norris war so groß wie Patrick, und seine natürliche Arroganz verriet, dass er im Reichtum aufgewachsen war. Bevor George Fitzgerald seinen Toast auf die Königin und, um seine amerikanischen Gäste zu ehren, auf den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, Grover Cleveland, ausbrachte, beugte sich Brett zu Catherine und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Catherine kicherte und legte ihre Hand auf das Handgelenk ihres gut aussehenden Tischnachbarn. Dabei berührten ihre Lippen fast sein Ohr. Patrick entging die Intimität dieser Geste nicht. Wie es die Höflichkeit gebot, murmelte er seine Erwiderung auf die Trinksprüche, setzte sich dann wieder und starrte düster auf den dunklen Portwein in seinem Kristallglas.
Offenbar hatte man Brett Norris, den Sohn von Henry und Susan, die Patrick gegenübersaßen, bewusst links von Catherine platziert. Patrick kochte vor Eifersucht. Er war gar nicht auf den Gedanken gekommen, dass ihm ein anderer Mann etwas von der kurzen Zeit
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