Auf den Flügeln des Adlers
während sie mit leerem Blick in die gelbe Flamme der Lampe starrte. »Ich spüre, dass mein geliebter Luke an einem entsetzlichen, einsamen Ort im Sterben liegt.«
Judith versuchte nicht, ihrer Freundin deren Vorahnung auszureden und sie zu beruhigen. Kate hatte immer die unheimliche Gabe besessen, solche Dinge zu wissen. Stattdessen drückte sie sie an sich, als könnte sie ihr so etwas von ihrem Schmerz abnehmen. »Das schlammige Wasser. Ich habe wieder das schlammige Wasser und die Krähe gesehen. Ich …« Kate hielt inne und rang nach Worten, um den entsetzlichen Traum zu beschreiben. Wie fasste man Gefühle, die physisch und dennoch nicht real waren, in Worte? »Ich habe Luke aus großer Ferne nach mir rufen hören. Er hat gesagt, dass er mich liebt, noch über den Tod hinaus, den er vor Augen hat. Ich …« Sie verstummte und begann zu schluchzen.
Die beiden Männer standen verlegen am Ende des Raums. Die Konfrontation mit dem Unbekannten und Unbegreiflichen machte sie hilflos. Nur Judith schien Kates merkwürdige Ahnungen zu begreifen. Solomon sah seine Frau fragend an.
Mit den Augen bedeutete sie den Männern, sie allein zu lassen.
Willie folgte Solomon in die Küche, wo er den Docht einer Lampe entzündete. Keiner der beiden sprach ein Wort, als sich Solomon auf einen Stuhl fallen ließ. Aus dem Esszimmer hörten sie die Stimmen der Frauen, die immer wieder von Schluchzern unterbrochen wurden. So viel Schmerz und Leid gab es auf der Welt, dachte Solomon. Er konnte nur darauf warten, dass Judith ihm sagte, was er tun sollte, wenn sie so weit war.
Die hohe Standuhr schlug viermal. Eine Dreiviertelstunde vor dem fünften Glockenschlag hörten sie das Scharren von Stühlen. Dann schloss sich die Haustür, und Judith betrat die Küche. Die beiden Männer blickten sie erwartungsvoll an.
»Kate ist nach Hause gegangen, um sich ein wenig auszuruhen«, sagte sie mit müder Stimme. »Willie, du gehst bei Sonnenaufgang zu ihr und hilfst ihr, die Reise nach Burketown vorzubereiten.«
»Nach Burketown!«, fuhr Solomon auf. »Sie steht doch kurz vor der Entbindung!«
»Ich weiß.« Judith hob die Hand, um jeden weiteren Protest ihres Ehemannes im Keim zu ersticken. »Ich habe versucht, es ihr auszureden, aber sie besteht darauf, dass sie Luke nicht allein lassen kann. Sie muss es einfach tun.«
»Auf jeden Fall nicht allein«, schimpfte Solomon. »Das wäre in ihrem Zustand Wahnsinn.«
»Sie wird nicht allein sein«, mischte sich Willie vom Ende des Tisches her mit ruhiger Stimme ein. »Ich gehe mit ihr und passe auf sie auf.«
Judith warf dem jungen Mann einen dankbaren Blick zu. »Ich weiß, dass sie bei dir in Sicherheit ist, William«, sagte sie leise. »Gott wird euch beide schützen.«
Solomon starrte seine Frau mit einer Mischung aus Erstaunen und Ungläubigkeit an. Erstaunen, weil sie Kates irrwitzige Entscheidung akzeptierte, und Ungläubigkeit, weil er sich nicht vorstellen konnte, wie Gottes Schutz allein eine Hochschwangere auf dem langen, gefährlichen Weg nach Westen zum Golf bewahren sollte. Dann sah er Willie an, in dessen Augen das Feuer des Fanatikers brannte. Oi, der Herr wählte sich seltsame Menschen zum Werkzeug!
15
Bald würde die Sonne über dem stillen Buschland der Ebene aufgehen. Eine gute Zeit zu sterben, dachte Luke Tracy, als er den Blick nach Osten wandte. Mit dem Rücken gegen einen Baum gelehnt, beendete er seinen letzten Eintrag in das ledergebundene Tagebuch, das Kate ihm geschenkt hatte. Damit hatte sie ihn ermutigen wollen, die vielen Dinge festzuhalten, die er über den australischen Busch wusste. Außerdem hoffte sie, er würde sein abenteuerliches Leben als Goldsucher auf zwei Kontinenten schildern und von seinen Abenteuern bei den Palisaden von Eureka berichten, wo er Seite an Seite mit ihrem Vater gekämpft hatte. Doch das Tagebuch war leer geblieben bis auf das, was er nun als letztes Kapitel seines Lebens geschrieben hatte.
Seine Worte waren schlicht und voller Liebe. Er bedauerte, dass er nie sein Kind in den Armen halten und nie durch den Busch seiner Wahlheimat streifen und seinem Sohn oder seiner Tochter die Wildnis zeigen würde. Aber ein Mann mit gelähmten Beinen wäre für eine Frau, die so aktiv und leidenschaftlich war wie Kate, nutzlos, dachte er mit der tiefen Traurigkeit der Verzweiflung.
Wenige Meter von der Stelle entfernt, wo er sich am Vortag in den Schatten des Baumes geschleppt hatte, lag sein totes Pferd. Aufgeschreckt von einem Wallaby, das
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