Auf den Flügeln des Adlers
seinem Gesicht. »Lass einfach der Natur ihren Lauf. Am besten schlägst du ein Lager für uns auf, damit hilfst du uns am meisten.«
»In Ordnung«, murmelte er, während er die Ebene mit den Augen nach Bäumen absuchte, die einen Bachlauf oder ein Wasserloch markieren mochten. Aber er fand keine charakteristischen Baumgruppen, nur einzelne, verkümmerte Exemplare, die in dem Meer trockenen Grases ums Überleben kämpften. Sie befanden sich mitten in jenem Land, das die unglückselige Expedition von Burke und Wills nahezu ein Vierteljahrhundert zuvor durchquert hatte und das schließlich das Leben der Entdecker gefordert hatte.
Kate zog die Knie an und griff unter ihren langen Rock, um die Baumwollunterhose auszuziehen. Ein Mann sollte bei so was nicht dabei sein, dachte Willie verlegen. Vielleicht sollte er zu der Siedlung Julia Creek reiten, möglicherweise gab es dort ja eine Hebamme.
»Hol mir das Wasser aus dem Wagen«, keuchte Kate schwach. »Ich bin furchtbar durstig.«
Willie wühlte unter den Vorräten, bis er eine große Wasserflasche fand. Er reichte sie ihr, und Kate trank in gierigen Schlucken. Die Hitze und die Anstrengung der Wehen hatten sie völlig ausgetrocknet.
»Ich reite vielleicht besser nach Julia Creek und hole einen Arzt oder eine Hebamme, Missus Tracy«, sagte Willie, als sie ihm die Flasche zurückgab. »Hier kann ich nicht viel tun, außer das Lager aufschlagen und es Ihnen bequem machen.«
»Wie weit ist es bis nach Julia Creek?«, fragte sie.
Willie kratzte sich am Kopf und sah nach Westen. »Nur ein paar Stunden, wenn man schnell reitet.« Das wusste er von seiner Fahrt mit Bens Kindern einige Wochen zuvor. Damals waren sie der gleichen Route gefolgt.
Kate wurde klar, dass sein Vorschlag eigentlich eine Bitte war. Er würde sie niemals im Stich lassen, aber da er ihr nicht helfen konnte, sah er nur eine Alternative. Sie dachte über sein Angebot nach und entschied, dass er Recht hatte. Vielleicht kam er rechtzeitig vor der Geburt mit einer Hebamme oder einem Arzt zurück. »Du kannst es versuchen«, sagte sie. Sein Gesicht verriet Erleichterung. »Aber hol mir ein paar Sachen aus dem Wagen, bevor du losreitest.«
Er brachte ihr die Gegenstände, um die sie gebeten hatte, und breitete sie in ihrer Reichweite aus: ein sauberes Männerhemd, das sie für den Fall mitgebracht hatte, dass sie Luke fanden, ein kleines Fläschchen mit Laudanum gegen die Schmerzen und die Wasserflaschen. Daneben legte er ein scharfes Messer und eine Spule Zwirn. Deren Bedeutung wurde ihm erst später klar: Sie bereitete sich darauf vor, allein zu entbinden.
Kate sah Willie nach, wie er davongaloppierte, bis sich sein verzerrtes Bild im Dunst in eine flimmernde Fata Morgana verwandelte und schließlich ganz verschwamm. In wenigen Stunden würde es dunkel werden, und sie betete, dass das Baby kam, während sie noch sehen konnte, was sie tat. Die Wehen ließen für einen Augenblick nach, sodass sie sich entspannen und in Ruhe die Lage einschätzen konnte. Sie wusste, dass sie den Kleinen nach der Geburt sauberhalten musste. Ihn! Wieso glaubte sie, dass es ein Junge war, wo sie das doch unmöglich wissen konnte? Weil Gott auf seine Weise gnädig war und ihr ein männliches Leben gab im Austausch für das, das er ihr genommen hatte?
Die Fliegen quälten sie, kitzelten sie mit ihren Füßen im Gesicht und summten dröhnend in ihren Ohren. Es war der einzige Laut in der unheimlichen Stille der Ebene – und praktisch die einzige Bewegung.
Aber sie war nicht allein! Als sie zum tiefblauen, wolkenlosen Himmel aufblickte, sah sie einen riesigen Vogel kreisen. Der majestätische Keilschwanzadler leistete ihr auf seiner Suche nach Aas oder Beutetieren in ihrer einsamen Welt Gesellschaft.
Der Adler am Himmel war nicht das einzige Lebewesen in ihrer Nähe. Kate sah die dunklen Gestalten nicht, die über die Ebene zogen: Ein Clan nomadisierender Aborigines folgte dem Flug des Adlers und näherte sich dabei dem Wagen.
Das Pferd, das an dem trockenen Gras gekaut hatte, hob den Kopf und starrte die Reihe langsam vorrückender, schimmernder Körper an. Es schnaubte, als eine sanfte Brise den fremden Geruch herübertrug. Kate bemerkte ihre Gegenwart erst, als das Gemurmel menschlicher Stimmen das Summen der Fliegen übertönte, die überall auf ihrem Körper herumkrabbelten.
Sie versuchte, sich umzuwenden und die Ebene mit den Blicken abzusuchen, aber die Anstrengung verursachte ihr Schmerzen. Bei ihrem Stöhnen
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