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Auf den Hund gekommen

Auf den Hund gekommen

Titel: Auf den Hund gekommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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behandschuhten Fingern auf den Knien herum, damit sie auftauten, aber das erste, was ich sah, als ich heranfuhr und das Fenster herunterkurbelte, war die bloße Brust unter dem kragenlosen offenen Hemd.
    »‘n Morgen, Mr. Herriot«, sagte er. »Gut, daß ich Sie seh.« Er hielt inne und lächelte milde. »Weiter unten gibt’s die nächsten Wochen was zu tun, dann zieh ich weiter.«
    »Aha.« Inzwischen wußte ich genug über ihn, um nicht nach seinem nächsten Ziel zu fragen. Statt dessen sah ich zu Jake hinunter, der an den Kräutern herumschnüffelte. »Heute morgen spaziert er ja selbst.«
    Roddy lachte. »Ja, mal läuft er gern, mal fährt er lieber. Wie’s ihm paßt.«
    »Also, Roddy«, sagte ich. »Wir sehen uns bestimmt wieder. Erst mal alles Gute!«
    Er winkte und federte über die vereiste Straße davon. Ich hatte das Gefühl, daß etwas Besonderes, das mein Leben unmerklich bereichert hatte, entschwunden war.
    Doch da hatte ich mich geirrt. Am selben Abend gegen acht Uhr klingelte es an der Haustür. Als ich öffnete, stand Roddy auf den Eingangsstufen und hinter ihm, kaum sichtbar im eisigen Dunkel, der unvermeidliche Kinderwagen.
    »Können Sie sich bitte meinen Hund ansehen, Mr. Herriot?« bat er.
    »Was hat er denn?«
    »Weiß nicht genau. Er hat so... Ohnmachtsanfälle.«
    »Ohnmachtsanfälle? Das klingt aber gar nicht nach Jake. Wo ist er überhaupt?«
    Er deutete hinter sich. »Im Wagen, unter dem Verdeck.«
    »In Ordnung.« Ich machte die Tür ganz auf. »Bringen Sie ihn herein.«
    Roddy manövrierte das rostige alte Vehikel die Stufen hinauf und schob es, quietschend und klappernd, den Flur entlang in meine Praxis. Dort, in voller Beleuchtung, schlug er das Verdeck zurück, unter dem Jake, der Länge nach hingestreckt, zum Vorschein kam.
    Sein Kopf ruhte auf dem Mantel, und um ihn herum lagen die weltlichen Besitztümer seines Herrchens: ein mit Bindfaden verschnürtes Bündel frischer Hemden und Socken, ein Päckchen Tee, eine Thermoskanne, Messer und Löffel und ein alter Armeerucksack.
    Der große Hund sah mit panischem Blick zu mir auf, und als ich ihn streichelte, spürte ich, daß er am ganzen Leib zitterte.
    »Lassen Sie ihn noch eben liegen, Roddy«, sagte ich, »und erzählen Sie mir genau, was Sie beobachtet haben.«
    Nervös rieb er die Handflächen aneinander. »Es hat erst heute nachmittag angefangen. War springlebendig, hat im Gras getobt, und plötzlich dieser Anfall.«
    »Was genau ist passiert?«
    »Er hat sich einfach aufgebäumt und ist dann auf die Seite gekippt. Lag da, hat nach Luft geschnappt und gesabbert. Kann Ihnen sagen, ich dachte, es ist aus.« Bei der Erinnerung weiteten sich seine Augen, und ein Mundwinkel zuckte.
    »Wie lange hielt dieser Zustand an?«
    »Paar Sekunden bloß. Dann ist er aufgestanden, und Sie hätten gemeint, es ist nie was gewesen.«
    »Doch dann ist es noch mal passiert?«
    »Jawoll, immer und immer wieder. Hat mir fast den Verstand geraubt. Dazwischen war er aber normal. Normal, Mr. Herriot!«
    Das klang verdächtig nach Epilepsie. »Wie alt ist er?« fragte ich.
    »Fünf letzten Februar.«
    Nun, das war ein bißchen zu alt dafür. Ich nahm ein Stethoskop und horchte das Herz ab, hörte jedoch nur das Rasen eines verschreckten Tieres. Nichts Außergewöhnliches. Mein Thermometer zeigte ebenfalls keine Abweichungen an.
    »Heben wir ihn auf den Tisch, Roddy. Sie fassen hinten an.«
    Das große Tier lag schlaff und reglos in unseren Armen, als wir es auf die glatte Fläche hievten, doch nachdem Jake ein Weilchen dort gelegen hatte, sah er sich scheu um und setzte sich dann langsam und bedächtig auf. Wir sahen zu, wie er den Hals reckte und seinem Herrchen das Gesicht leckte, wobei sein Schwanz hin und her schnippte.
    »Sehen Sie sich das an!« rief der Mann aus. »Er ist wieder da. Als wär nichts gewesen.«
    Tatsächlich kam Jake rasch wieder zu sich. Ein paarmal spähte er vorsichtig über die Tischkante auf den Boden, dann sprang er plötzlich hinunter, trottete zu seinem Herrchen und stemmte seine Vorderpfoten gegen dessen Brust.
    Ich betrachtete dieses Schauspiel und sah zu, wie der Hund überschwenglich mit dem Schwanz wedelte. »Na, was für eine Erleichterung. Eben noch gefiel er mir gar nicht, aber was auch immer das gewesen sein mag, es scheint sich von allein wieder eingerenkt zu haben. Ich werde...«
    Mein freudiger Redeschwall wurde jäh unterbrochen. Ich starrte den Lurcher an. Er hatte die Vorderpfoten wieder auf den Boden gestellt

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