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Auf den Inseln des letzten Lichts

Auf den Inseln des letzten Lichts

Titel: Auf den Inseln des letzten Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Lappert
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geschrieben und an die Wand geheftet worden war: EVERYBODY’S GOT SOMETHING TO HIDE EXCEPT FOR ME AND MY MONKEY.
    »Wann haben Sie das letzte Mal gegessen?«
    »Ich weiß nicht. Um elf.«
    »Das war vor mindestens … acht Stunden. Ich werde kochen, und Sie werden essen.« Tanvir ließ die letzte Kartoffel in den Topf fallen und erhob sich. »Sehen Sie sich ruhig um. Ich bin gleich zurück.« Er nahm den Topf und die Laterne vom Tisch und ging zur Tür. »Wenn Sie durstig sind, da steht Wasser, dort ein Glas.« Er stieß die Tür mit dem Fuß auf und ging hinaus. Gleich darauf wurde die Tür von außen geschlossen.
    Megan stand auf und füllte ein Glas mit Wasser aus einem Plastikkanister. Sie trank es in einem Zug leer und füllte es erneut. An einer Wand hingen Zeitungsausschnitte, vergilbte, wellige Originale und etwas besser erhaltene Kopien, einige davon farbig. Megan überflog die Schlagzeilen: Landung auf dem Mars, Massaker in Columbine, Überfall auf den Irak, Billy Wilder tot, Raketentests in Nordkorea, Anschlag in Madrid. Siesah unscharfe Bilder von Bill und Hillary Clinton, einem auseinandergebrochenen Öltanker, einer Afrikanerin in einer Wüstenlandschaft, einem Flugzeugträger, Uniformierten mit Schilden und Schlagstöcken. Neben einem Plakat, das auf Tagalog und Englisch erklärte, wie man sich vor Malaria schützt, hing die Hülle der Single »Que sera« von Doris Day, daneben eine Postkarte, die eine Scheune zeigte, in die ein kleines Propellerflugzeug gekracht war. Eine Frisbeescheibe aus schwarzem, stumpf und brüchig gewordenem Kunststoff mit dem Aufdruck ETERNITY hing neben dem haar- und augenlosen Kopf einer Puppe und einem gebrochenen Holzpaddel, dessen roter Farbanstrich fast gänzlich abgeblättert war. Megan sah einen zerknitterten Taschenplan von New York, eine Postkarte mit van Goghs Sonnenblumen, eine zerrissene und wieder zusammengeklebte Tarotkarte mit den drei Schwertern, eine Seite aus dem Telefonbuch von Manila, das abgestempelte und signierte Rezept für ein Medikament, den Flyer eines Nachtclubs in Boston, dazwischen eine völlig verformte Halloweenmaske, die Saddam Hussein oder Groucho Marx darstellte, fünf Kinderschnuller, eine Sonnenbrille ohne Bügel, einen halben Rettungsring mit der Aufschrift MEL, eine Rose, der Stiel aus Plastik und die Blätter aus bleichem rotem Stoff. Zwischen der Kommode und dem ersten Regalbrett hingen Fotos von Montgomery, Chester, Wesley, Nelson und anderen Primaten, alle mit einem Gelbstich und überbelichteten Hintergründen, als hätte im Moment der Aufnahme eine Explosion die Szenerie erhellt. Montgomery sah ernst in die Kamera, wie ein alter Mann, der den Sinn des Fotografiertwerdens nicht mehr verstehen will. Ein anderes Bild zeigte Carla und Ester lachend vor einem Tisch posieren, auf dem eine Torte voller brennender Kerzen stand. Megan las ein Gedicht von Robert Frost, das jemand mit der Schreibmaschine abgetippt hatte, und den aus einer Zeitung geschnittenen Satz DER WINTER DER ENTTÄUSCHUNG LÄSST UNS ALLE FRIEREN, hinter den mit rotem Filzschreiber ein Ausrufezeichen gemalt war. Graue Papierbögen, durchzogen von zahllosen horizontalen und vertikalen Faltrillen, bedeckten die halbe Wand neben dem Tisch, handgezeichnete Baupläne für ein Haus, das mit dem identisch zu sein schien, in dem Megan stand. Von den Rändern her überzog eine neue Schicht aus Papier und Fundstücken die Pläne, bedeckte die Kugelschreiberlinien, die Notizen und Kaffeefleckenund die Bleistiftskizzen von Balkenkonstruktionen, Fensterrahmen und Türgriffen.
    Megan stellte das halbvolle Glas auf den Tisch und ging hinaus. Sie fand Tanvir hinter dem Haus, wo er an einem gemauerten Kochherd stand und mit einem Messer etwas auf einem Holzbrett kleinschnitt. Ein paar Hühner mit ihren Küken liefen herum, Schweine raschelten im Dunkeln.
    Tanvir sah Megan an. Winzige Schweißperlen standen auf seiner Stirn. »An Ihnen sieht das Badetuch aus wie eine Nerzstola.« Er legte das Messer weg. »Waren Sie schwimmen?«
    »Ja, vorhin.«
    »Ich kann nicht schwimmen. Nicht richtig jedenfalls.«
    »Als ich aus dem Wasser kam, war mein T-Shirt verschwunden.«
    »Verschwunden?«
    »Na ja, es war weg. Nicht mehr da.«
    »Sehen Sie dort drüben?« Tanvir deutete auf eine Schnur, die zwischen zwei Palmen gespannt war und an der Kleidungsstücke hingen. »Nehmen Sie sich, was Sie brauchen, ein T-Shirt, ein Hemd, bedienen Sie sich.«
    Megan ging zu der Wäscheleine, wählte ein schwarzes

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