Auf den Schwingen der Hölle - [ein Norwegen-Krimi]
anderen Gästen im Raum, das freundlich und von allen erwidert wurde. Die perfekte Tarnung hat gut begonnen, dachte er befriedigt.
Da betrat der Wirt der Herberge den Raum, ein Deutscher, mit langem Haar, der um die dreißig sein mochte und freundlich lächelnd von Tisch zu Tisch ging, um zu fragen, ob alle zufrieden wären.
»Wir haben beide gut geschlafen«, lobte er das Quartier, als der Wirt an ihrem Tisch stand. »Wir sind sehr zufrieden. Und alle Gäste haben wir ja auch gleich kennen gelernt.«
»Ja, alle, bis auf einen«, erklärte der Wirt. »Der joggt jeden Morgen auf einem Pfad an der Küste entlang. Diesen Pfad kann ich ihnen besonders als Wandermöglichkeit empfehlen. Er ist der schönste auf unserer Insel. Ein Stück hinter dem Dorf führt ein steiler Weg hinauf, von dort geht der Pfad ab. Und dieser Gast joggt dort an jedem Morgen. Sie werden ihn ja noch kennen lernen. Er ist übrigens ein Landsmann von uns, auch ein Deutscher.«
Der junge Mann grinste Bachmann freundlich an. »Nach ihm können sie die Uhr stellen. Jeden Morgen sieben Uhr geht er aus dem Haus. Typisch deutsch! Was auf mich allerdings nicht zutrifft. Ich sehe alles etwas lockerer.«
Bachmanns Gesicht erstarrte einen Augenblick lang. Dieser Mann, von dem der Wirt erzählte, muss Emmerlein sein, überlegte er und war unendlich froh. Aber er wusste, dass er vor dem Gesuchten auf der Hut sein musste, denn Emmerlein konnte so manches im Gefängnis erlernt haben und in der Zeit nach seiner Entlassung, die Abwehr eines Messers wäre ihm da durchaus erfolgreich möglich und auch ein für seinen Gegner tödlicher Angriff, wenn er ihn als Notwehr glaubhaft darstellen konnte. Er selbst aber war durchaus nicht mehr so reaktionsschnell wie früher.
»Heute Abend werden sie seine Fischsuppe kennen lernen«, hörte er den Wirt strahlend sagen. »Er ist nämlich ein hervorragender Angler und Koch. Er bringt die besten Fische in die Pfanne. Hätte schon eher kommen sollen. Das sagen alle Gäste hier.«
»Danke«, erwiderte Bachmann und versuchte zu lächeln, obwohl er aufs neue den Hass spürte, der seinen Körper zu durchfluten begann, vom Kopf bis zu den Zehen, denn noch immer blieb dieser verfluchte Emmerlein, selbst in diesem einsamen Geisterdorf, ein Phantom. Nun aber würde er es nur noch bis zum Abend bleiben, endgültig. Das Finale der Jagd konnte beginnen, das tödliche Finale. Aber er würde auf der Hut sein müssen, wenn er ihn ohne Zeugen angreifen wollte. Er konnte nur hoffen, dass Emmerlein ihn nicht erkannte oder den Wirt nach seinem Namen fragte. Doch vielleicht hatte er ihn längst vergessen. Es ist alles offen, dachte er, für ihn und für mich. Verbissen kaute er weiter.
Nach dem Frühstück stieg er mit Sarah den grünbewachsenen Berg hinauf, der unmittelbar hinter dem Dorf begann, bis zu seinem breiten felsigen Plateau. Unter ihnen lag – immer besser sichtbar je höher sie stiegen – das Geisterdorf wie eine norwegische Westernkulisse. Die zweistöckigen Stelzenhäuser waren teilweise verrottet. Doch bewohnte Häuser gab es auch, sie waren in den Farben weiß, hellblau und rot gestrichen. In der Fahrrinne zwischen den Speicherhäusern sahen sie ein kleines schwarzes Schiff mit weißer Brücke, das offenbar noch seetüchtig war. Der Volvo ist nicht da, dachte er.
»Wir werden jetzt diesen Pfad suchen, auf dem Emmerlein jeden Morgen joggt«, schlug er vor.
Schweigend und nachdenklich blickte ihn Sarah an und wieder, wie schon bei ihrem Gespräch nach seinem Erwachen, nahm er ein Zucken ihrer Augenlider wahr. Sie grübelt, dachte er, aber sie offenbart sich nicht, ich weiß nie, was sie wirklich denkt.
»Na, dann komm«, schlug er vor. »Wir gehen wieder hinunter.«
Sie stiegen hinab zum Dorf und nur Minuten später verließen sie es, vorbei an der Seitenwand eines Hauses, an die irgendein Spaßvogel abgelegte Schuhe verschiedener Größen genagelt hatte.
Nicht weit hinter dem Dorf begann ein sehr steil nach oben führender Weg, an einzelnen, entfernt liegenden und bewohnten Gehöften vorbei, ein Weg der immer schmaler wurde und sich schließlich als Pfad zwischen Gras und kleinen Felsen hindurchwand, um dann zickzackförmig an den Felsen der Küste entlangzuführen, die steil und tief als Abgrund abfiel zum Nordmeer, so dass es bei Nebel ratsam war, immer auf dem Pfad zu bleiben.
Während Sarahs Blick über das Meer schweifte, das die ersten Böen eines Sturms peitschten, hielt Bachmann Ausschau nach einem gewaltigen
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