Auf den Schwingen der Hölle - [ein Norwegen-Krimi]
Kampfansage. Nur das brutzelnde Geräusch in der Pfanne war zu hören.
Abrupt wandte Emmerlein sich um und verließ die Küche, um dann, im Speiseraum, vor einem der beiden Bilder zu verharren.
Er reizt mich bewusst, dachte er, denn er weiß genau, das seine Anwesenheit eine Provokation für mich ist, aber er will mir zeigen, dass er mich nicht fürchtet, doch wird er sich irren, gewaltig irren, wenn er sich auf seine Kampfsportkenntnisse verlässt wie auf ein Allheilmittel, wir werden es schon bald wissen, sehr bald, wer der bessere Kämpfer ist und wen das stärkere Motiv im Kampf leitet.
»Wir können nach dem Essen wieder wandern gehen«, rief ihm Sarah über die Schulter blickend zu. »Möchtest du?«
Bachmann nickte, aber seine Gedanken ließen ihn nicht los. Noch immer starrte Emmerlein auf das Bild, die Hände tief in den Taschen seiner Hose vergraben.
Schwer schluckte Bachmann und spürte den Hass wieder wie einen heißen Strom aus Blut in seinem Körper, einen Hass, der sich endlich entladen wollte, in einem einzigen tödlichen Stich.
Später, nach dem Essen, als sie ihr Zimmer betraten, um vor dem Wandern noch ein wenig zu ruhen, erblickte Sarah das Foto. Ihr Gesicht erstarrte, die Sonnenbräune schien aus ihm zu weichen, aber sie sagte nichts, sie kaute nur auf ihrer Unterlippe, sie war wieder die andere Sarah geworden, die freudlose, die schweigsame, die Sarah mit den leeren Augen und dem wächsernen Gesicht.
Ich musste es tun, dachte er, sie darf unsere Tochter nicht vergessen, jetzt, wo die Stunde der Vergeltung so nahe ist, und sie muss mir helfen, ob sie will oder nicht, sie muss es einfach, es ist ihre Pflicht!
Schweigend legten sie sich auf ihre Betten.
Eine Stille herrschte im Raum, die bedrückend war, nur die Möwen kreischten, die über das Haus flogen, dem dunklen Nordmeer entgegen, seinen weißen Schaumkämmen und den Fischen.
Da entsann er sich der letzten Trumpfkarte, die er noch ausspielen konnte, einen Artikel, den er in einer Zeitung entdeckt hatte, mit knalligen Schlagzeilen:
›Acht Jahre wartete er auf diesen Tag. Vater ersticht Mörder seines Sohnes.‹
Und so erhob er sich wieder aus seinem Bett.
»Ich will dir etwas zeigen«, sagte er zu Sarah.
Irgendwo in einer der unendlich vielen Taschen seines Anoraks wartete ein sorgsam zusammengefalteter Artikel darauf, auseinandergefaltet zu werden. Suchend tastete seine Hand den Stoff ab, bis seine Finger auf einen Widerstand stießen.
Hastig faltete er den Artikel auseinander, glättete ihn, ehe er ihn Sarah reichte, die sich aufgerichtet und ihre Beine aus dem Bette gehoben hatte. Dann setzte er sich neben sie.
Sarahs Gesicht wurde starr, als sie die Schlagzeilen las, die Neugier war aus ihren Augen gewichen, die nun apathisch wirkten, von einem Augenblick zum anderen, als hätte er eine unsichtbare Jalousie betätigt.
Da er befürchten musste, dass sie den Artikel nicht lesen würde, begann er selbst laut vorzulesen: »Acht Jahre lang quälte ihn Hass und Rachsucht. Jetzt kam der Augenblick, auf den er so lange gewartet hatte. Im Dunklen stand ihm der Mann gegenüber, der seinen jüngsten Sohn aus Eifersucht getötet hat. Horst K. (53), ein ehemaliger Polizist, handelte sofort. Er entführte den Mörder seines Sohnes und jagte ihm ein Messer ins Herz. Das Opfer war sofort tot. Die Leiche verscharrte er im Kellergewölbe eines leer stehenden Hauses«.
Er hielt inne und schaute sie aufmerksam an, bevor er weiterlesen wollte, doch musste er sehen, dass Sarah das Gesicht auf ihre Knie fallen ließ und die Handflächen auf ihre Ohren presste.
»Ich kann nicht mehr«, stammelte sie. »Bitte hör auf!«
Beruhigend legte er seine Hand auf ihr Haar, ehe er ihren Kopf sanft zu streicheln begann.
Minutenlang saßen sie so, schweigend, in einer bedrückenden Stille, und er wagte nicht, sie anzusprechen.
Möwen kreisten kreischend über dem Haus, deren Schreie er plötzlich hasste, weil sie ihm zu laut erschienen und zu aufdringlich.
»Dieser Mann ist ein Vater wie ich«, begann er behutsam. »Er tat nur das, was ich auch tun will. Er spricht Recht im Namen der Eltern eines toten Kindes und er vollzieht das Urteil selbst. Immer wieder gibt es diese Väter! Keiner kann sie aufhalten.«
Sie begann zu schluchzen, doch sie weinte nicht, als wären ihre Tränen versiegt. »Aber man muss sie aufhalten«, schluchzte sie.
»Ich bin einer von diesen Vätern«, sagte er mit Nachdruck. »Ich kann ohne die Vergeltung nicht
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