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Auf den Schwingen des Adlers

Auf den Schwingen des Adlers

Titel: Auf den Schwingen des Adlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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nach, der tut, als wüßte er, wo’s langgeht.
    Anfangs bestand seine Gefolgschaft aus zwölf bis fünfzehn Männern und Knaben, unterwegs gesellten sich immer mehr dazu: Wer immer kein eigenes Ziel hatte, schloß sich ihnen automatisch an.
    Raschid war ein Revolutionsführer geworden.
    Nichts war unmöglich.
    Kurz vor dem Gasr-Platz machte er halt und hielt eineAnsprache an seine Truppen. »Die Gefängnisse müssen in die Hände des Volkes übergehen, ebenso wie die Kasernen und Polizeiwachen. Und dafür sind wir zuständig. Im Gasr-Gefängnis gibt es Leute, die sich nichts haben zuschulden kommen lassen. Sie sind genauso unschuldig wie wir – es sind unsere Brüder und Vettern. Und genauso wie wir wollen sie nichts als ihre Freiheit. Und sie waren mutiger als wir, denn sie haben ihre Freiheit vom Schahregime gefordert und sind deswegen eingelocht worden. Jetzt werden wir sie befreien!«
    Die Menge war begeistert.
    Ein Satz von Simons fiel ihm ein: »Das Gasr-Gefängnis ist unsere Bastille!«
    Die Begeisterung kannte keine Grenzen mehr.
    Raschid drehte sich um und rannte über den Platz.
    An der Straßenecke gegenüber dem riesigen Gefängnistor ging er in Deckung. Er sah, daß sich auf dem Platz bereits eine ansehnliche Menschenmenge versammelt hatte; vermutlich würde das Gefängnis heute ohnehin gestürmt, ob nun mit ihm oder ohne ihn. Aber es kam darauf an, Paul und Bill zu helfen.
    Er hob sein Gewehr und gab einen Schuß in die Luft ab. Die Menschen liefen auseinander, das Gefecht begann.
    Auch diesmal war der Widerstand nur halbherzig. Lediglich ein paar Wachen hinter den Schießscharten oben in der Mauer und an den Fenstern neben dem Tor erwiderten das Feuer. Soweit Raschid es beurteilen konnte, gab es weder auf der einen noch auf der anderen Seite Opfer. Wie schon zuvor endete auch dieses Scharmützel nicht schlagartig, sondern verlief ganz einfach im Sand: Die Wachposten verschwanden, und die Schießerei hörte auf.
    Raschid wartete sicherheitshalber ein paar Minuten, dann rannte er quer über den Platz zum Gefängnistor.
    Es war verschlossen.
    Die Menge versammelte sich um ihn. Irgendeinerfeuerte eine Salve auf das Tor ab, wollte das Schloß aufschießen. Raschid dachte: Der hat wohl zu viele Cowboyfilme gesehen. Ein anderer brachte irgendwoher eine Brechstange an, aber es erwies sich als unmöglich, das Tor aufzustemmen. Wir müßten mit Dynamit ran, dachte Raschid.
    Neben dem Tor war ein kleines, vergittertes Fenster in die Backsteinmauer eingelassen, das es den Wachen ermöglichte, nachzusehen, wer draußen stand. Raschid schlug das Fenster mit seinem Gewehrkolben ein und machte sich daran, die Gitterstäbe aus dem Mauerwerk zu brechen. Der Mann mit dem Stemmeisen half ihm dabei, dann drängten sich noch drei oder vier andere dazu, versuchten, die Stäbe mit ihren bloßen Händen, ihren Gewehrkolben und allem, dessen sie habhaft werden konnten, zu lockern. Es dauerte nicht lange, und die Stäbe polterten zu Boden.
    Raschid zwängte sich durch die Fensteröffnung.
    Er befand sich in einem kleinen Wachraum. Die Aufseher waren nicht zu sehen. Er streckte seinen Kopf durch die Tür. Niemand. Er überlegte, wo die Schlüssel zu den Zellentrakten sein könnten, verließ das Zimmer und fand auf der anderen Seite des Tores einen zweiten Wachraum. Dort lag ein großer Schlüsselbund.
    Er kehrte zum Tor zurück. In einen der Flügel war eine kleinere Tür eingelassen, die durch einen einfachen Riegel gesichert war. Raschid schob ihn beiseite und öffnete die Tür.
    Der Mob drängte herein.
    Raschid trat zur Seite. Er drückte jedem, der wollte, einen Schlüssel in die Hand und sagte: »Schließt die Zellen auf und laßt alle heraus.«
    Sie drängten sich an ihm vorbei. Seine Karriere als Revolutionsführer war beendet. Er hatte sein Ziel erreicht. Er, Raschid, hatte den Sturm auf das Gasr-Gefängnis angeführt! Wieder einmal war ihm das Unmögliche gelungen.
    Jetzt mußte er nur noch Paul und Bill unter den elftausendachthundert Gefängnisinsassen ausfindig machen.
    *
    Bill erwachte um sechs Uhr. Alles war ruhig.
    Überrascht stellte er fest, daß er gut geschlafen hatte.
    Eigentlich hatte er nicht geglaubt, überhaupt schlafen zu können. Das letzte, an das er sich erinnern konnte, waren Geräusche von draußen, die sich nach einer regelrechten Schlacht anhörten. Wenn man nur müde genug ist, dachte er, kann man wahrscheinlich überall schlafen. Soldaten schlafen sogar in Schützenlöchern. Man gewöhnt sich

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