Auf den Schwingen des Adlers
Gemeinsamkeiten. Beide waren katholisch, Bill allerdings strenger gläubig als Paul. Beide hatten eine Vorliebe für gutes Essen. Beide waren Informatiker von Beruf und in den sechziger Jahren bei EDS eingetreten, Bill 1965, Paul 1966. Beide hatten rasch Karriere gemacht, doch Paul, obwohl er ein Jahr später zu EDS gestoßen war, bekleidete jetzt einen höheren Posten als Bill. Bill kannte das Krankenversicherungswesen in- und auswendig und konnte hervorragend mit Menschen umgehen, doch war er weder so draufgängerisch noch so dynamisch wie Paul. Bill war ein Grüblerund sorgfältiger Organisator. Hatte er eine wichtige Vorlage auszuarbeiten, so brauchte Paul sich keinerlei Sorgen zu machen: Bill pflegte sie Wort für Wort gründlich vorzubereiten.
Bei der Arbeit ergänzten sie sich gegenseitig. War Paul einmal zu hastig, so brachte ihn Bill dazu, eine Denkpause einzulegen. Feilte Bill einmal zu pingelig an Kleinigkeiten herum, bekam er von Paul zu hören, er solle einfach ins kalte Wasser springen.
Sie kannten sich bereits aus den Staaten, waren sich jedoch erst in den vergangenen neun Monaten nähergekommen. Als Bill im März in Teheran eingetroffen war, hatte er im Haus der Chiapparones gewohnt, bis seine Frau mit den Kindern nachkam. Paul fühlte sich fast ein wenig als Bills Beschützer. Es war eine Schande, daß Bill nichts als Probleme im Iran hatte.
Bill machte sich des Aufruhrs und der Schießereien wegen wesentlich mehr Sorgen als die meisten anderen – vielleicht, weil er noch nicht lange hier war, vielleicht, weil er von Natur aus dazu neigte. Auch die Scherereien um ihre Pässe nahm er sich mehr zu Herzen als Paul. Er hatte sogar schon vorgeschlagen, mit Paul per Zug in den Nordosten zu fahren und über die Grenze nach Rußland zu gehen – mit der Begründung, niemand käme auf die Idee, amerikanische Geschäftsleute entschieden sich für eine Flucht ausgerechnet durch die Sowjetunion.
Überdies sehnte er sich nach Emily und den Kindern, wofür sich Paul irgendwie verantwortlich fühlte, weil er Bill in den Iran geholt hatte.
Aber nun war ja bald alles vorüber: Heute würden sie zu Dadgar gehen und ihre Pässe wiederbekommen. Bill hatte für morgen einen Auslandsflug gebucht. Emily bereitete für ihn schon eine Begrüßungsparty zu Silvester vor. Dann würde ihm das alles nur noch wie ein böser Traum erscheinen.
Paul lächelte Bill zu. »Können wir gehen?«
»Jederzeit.«
»Dann sag ich jetzt Abolhasan Bescheid.« Paul griff zum Telefon. Abolhasan arbeitete zusammen mit Rich Gallagher als Pauls Assistent in der Verwaltung. Er war der ranghöchste iranische Mitarbeiter und beriet Paul in Fragen iranischen Geschäftsgebarens. Er war der Sohn eines bekannten Rechtsanwalts, mit einer Amerikanerin verheiratet und sprach ausgezeichnet Englisch. Zu seinen Aufgaben gehörte es auch, EDS-Verträge in Farsi zu übersetzen. Heute sollte er für Paul und Bill bei Dadgar dolmetschen.
Er kam umgehend in Pauls Büro, und die drei Männer brachen auf. Sie nahmen keinen Anwalt mit. Der Botschaft zufolge galt das heutige Treffen als reine Routineangelegenheit, als inoffizielle Einvernahme. In Begleitung eines Anwalts zu erscheinen, wäre nicht nur sinnlos, sondern mochte Mr. Dadgar sogar gegen sie einnehmen und auf den Gedanken bringen, Paul und Bill hätten etwas zu verbergen. Paul hätte gerne einen Botschaftsangehörigen dabeigehabt, aber auch diese Idee hatte ihm Goelz ausgeredet: Es war nicht üblich, zu derlei Treffen einen Botschaftsvertreter zu entsenden. Immerhin hatte Goelz ihnen geraten, Unterlagen über ihre Ankunft im Iran, ihre Positionen in der Firma und über ihre Verantwortung und Befugnisse mitzunehmen.
Sie steuerten durch den wie üblich mörderischen Verkehr in Teheran, und Paul fühlte sich niedergeschlagen. Er freute sich zwar auf den Heimflug, aber er haßte es, eine Niederlage eingestehen zu müssen. Er hatte EDS im Iran aufbauen wollen, statt dessen mußte er einen Scherbenhaufen hinterlassen. Von welcher Seite man es auch betrachtete, das erste Überseeunternehmen des Konzerns war fehlgeschlagen. Zwar war es nicht Pauls Schuld, daß die iranische Regierung kein Geld mehr hatte, aber daswar ihm nur ein schwacher Trost: Entschuldigungen brachten keinen Profit.
Sie fuhren die von Bäumen gesäumte Eisenhower Avenue hinunter, die breit und schnurgerade war wie eine amerikanische Schnellstraße, und bogen in den Hof eines rechteckigen, neunstöckigen Gebäudes, das ein wenig
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