Auf den Schwingen des Adlers
zurückzudrängen. Es sah aus, als würde jeden Augenblick ein Kampf ausbrechen.
»Das wird ganz schön gefährlich«, sagte Gayden. Coburn ließ den vorderen Wagen nicht aus den Augen und fragte sich, was Simons wohl tun würde.
Coburn sah, wie eine Gewehrmündung auf das Seitenfenster neben dem Fahrer angelegt wurde. »Paul, dreh dich nicht um, da zielt gerade einer mit dem Gewehr auf deinen Kopf.«
»Jesusmaria ...«
Plötzlich war alles vorüber. Die besiegten Soldaten waren die Hauptattraktion, und als sie vorbeigezogen waren, folgte ihnen die Menge.
Coburn atmete auf. Paul sagte: »Also, eine Minute lang hab’ ich ...«
Raschid kam mit dem Dolmetscher aus dem Hotel und sagte: »Sie wollen nichts davon hören, einen Haufen Amerikaner in ihrem Hotel aufzunehmen; es ist ihnen zu riskant.« Die Gefühlswogen in der Stadt schlugen so hoch,entnahm Coburn dieser Äußerung, daß das Hotel womöglich vom Mob niedergebrannt werden würde, wenn dort Ausländer wohnten. »Wir müssen ins revolutionäre Hauptquartier.«
Sie fuhren weiter. Auf den Straßen herrschte fieberhafte Aktivität. Ganze Kolonnen von Lastwagen aller Art und Größen wurden mit Versorgungsgütern beladen, vermutlich für die Revolutionäre, die noch in Täbris kämpften. Der Konvoi hielt vor einem Gebäude, vielleicht einer Schule. Eine riesige, lärmende Menschenmenge wartete vor dem Hof darauf, eingelassen zu werden. Es gab einen kurzen Wortwechsel, dann hatten die Kurden die Posten am Tor überredet, den Krankenwagen und die beiden Range Rover durchzulassen. Die Menge reagierte unwirsch, als die Ausländer auf den Hof fuhren. Coburn stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, als sich das Tor hinter ihnen schloß.
Sie stiegen aus. Der Hof stand voller zerschossener Fahrzeuge. Auf einem Stapel Gewehrkisten stand ein Mullah und veranstaltete mit einem Haufen Männer eine lärmende, feurige Zeremonie. Raschid erklärte: »Er vereidigt gerade frisch ausgehobene Truppen, die in Täbris für die Revolution kämpfen sollen.«
Die Kurden führten die Amerikaner zu der Schule an der Seite des Hofes. Ein Mann kam die Stufen herunter und schrie sie zornig an. »Sie dürfen nur unbewaffnet in das Gebäude«, übersetzte Raschid.
Coburn merkte, daß ihre Bewacher nervös wurden: Sie waren selbst überrascht, hier auf feindlichem Territorium gelandet zu sein. Sie zogen den Brief des Mullahs von Mahabad heraus.
Neuerlicher Wortwechsel.
Schließlich sagte Raschid: »Ihr wartet alle hier. Ich gehe hinein und rede mit dem Anführer des Revolutionskomitees.«
Er ging die Stufen hinauf und verschwand.
Paul und Gayden zündeten sich Zigaretten an. Paul war verängstigt und mutlos. Diese Leute, glaubte er, würden bestimmt in Teheran anrufen und alles über ihn herausfinden. Ins Gefängnis zurückgeschickt zu werden, wäre noch das geringste Übel. Er sagte zu Gayden: »Ich bin dir aufrichtig dankbar für alles, was du für mich getan hast. Aber das wär’s dann wohl, so traurig es auch ist.«
Coburns größte Sorge galt dem Mob vor dem Tor. Hier drin wurde wenigstens der Versuch gemacht, eine gewisse Ordnung aufrechtzuerhalten. Da draußen jedoch war die Meute vor der Kette. Und wenn sich nun einer dieser dämlichen Posten dazu überreden ließ, das Tor aufzumachen? Der Mob würde sie alle lynchen. In Teheran war ein Iraner, der den Zorn der Menge auf sich gezogen hatte, buchstäblich zerfetzt worden – die Leute, wahnsinnig und hysterisch, hatten ihm Arme und Beine ausgerissen.
Die Posten bedeuteten den Amerikanern mit ihren Waffen, sie sollten sich auf die eine Seite des Hofes begeben und dort an die Wand stellen. Wehrlos gehorchten sie. Coburn sah vor sich die Mauer; sie war voller Einschüsse. Paul hatte sie ebenfalls entdeckt und wurde leichenblaß.
Raschid stellte die Frage: Wie wird es wohl in der Seele des Anführers dieses Revolutionskomitees aussehen?
Er hat hunderttausend verschiedene Dinge zu tun, dachte Raschid. Er hat die Stadt gerade eingenommen und noch nie vorher Macht ausgeübt. Er muß sich um die Offiziere der besiegten Armee kümmern, er muß die mutmaßlichen SAVAK-Agenten zusammentreiben und verhören, er muß zusehen, daß die Stadt wieder ordentlich verwaltet wird, er muß Vorkehrungen gegen eine Konterrevolution treffen, und er muß Truppen nach Täbris entsenden.
Raschid schloß daraus, daß ihm nichts lieber sein konnte, als wieder einen Punkt auf seiner Liste abzuhaken.
Er hat weder Zeit noch Mitgefühl für
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