Auf den Schwingen des Adlers
undurchdringliche Mann auch nur das geringste Interesse daran haben würde, zwei EDS-Manager aus einem persischen Gefängnis zu befreien. Ob Simons wohl das Fest in San Francisco zu schätzen gewußt hatte? Vielleicht. Später hatte Perot Simons einen Flug nach Laos finanziert, umdort nach MIAs zu forschen – amerikanische Soldaten Missing In Action , die im Kampf vermißt und nicht mit den Kriegsgefangenen heimgekehrt waren. Nach seiner Rückkehr aus Laos hatte Simons einigen EDS-Managern gegenüber bemerkt: »Perot kann man nicht so leicht etwas abschlagen.«
Als Perot jetzt in die Zufahrtsstraße zum Flughafen von Denver einbog, fragte er sich, ob er heute, nach sechs Jahren, immer noch der Mann war, dem Simons nichts abschlagen konnte.
Doch auf Simons wollte er erst zurückgreifen, wenn ihm kein anderer Ausweg blieb. Zunächst einmal wollte er jede andere sich ihm bietende Möglichkeit ausschöpfen.
Er betrat die Abflughalle, buchte einen Platz für den nächsten Flug nach Dallas und ging zum nächsten Telefon. Von dort aus rief er bei EDS an und sprach mit T. J. Marquez, der, da es schon so viele Toms bei EDS gab, T. J. genannt wurde. »Such mir doch bitte meinen Paß raus«, sagte er zu ihm, »und besorg mir ein Visum für den Iran.«
»Ross, auf eine schlechtere Idee hättest du gar nicht kommen können«, erwiderte T. J.
Ließ man T. J. gewähren, so stritt er von morgens bis abends.
»Ich habe nicht vor, mit dir darüber zu diskutieren«, sagte Perot kurz angebunden. »Ich habe Paul und Bill überredet, dorthin zu gehen, und jetzt werde ich sie da rausholen.«
Er legte auf und begab sich zur Abfertigung. Im großen und ganzen gesehen, war dieses Weihnachtsfest ein Reinfall.
T. J. war ein wenig eingeschnappt. Als alter Freund von Perot und als einer der Vizepräsidenten von EDS war er es nicht gewöhnt, wie ein Laufbursche behandelt zu werden. Das war eine von Perots großen Schwächen: Lief er einmal auf Hochtouren, dann trat erständig anderen Leuten auf die Zehen, ohne es je zu merken. Er war ein außergewöhnlicher Mensch, aber beileibe kein Heiliger.
*
Auch für Ruthie Chiapparone war das Weihnachtsfest ein Reinfall.
Sie verbrachte die Feiertage im Haus ihrer Eltern im Südwesten Chicagos. Bei der hastigen Evakuierung aus dem Iran hatte sie fast alle Weihnachtsgeschenke, die sie für ihre Töchter, die elfjährige Karen und die fünfjährige Ann Marie, gekauft hatte, zurückgelassen; bald nach ihrer Ankunft in Chicago war sie jedoch mit ihrem Bruder Bill in die Stadt gefahren und hatte neue gekauft. Ihre Familie gab sich alle erdenkliche Mühe, Weihnachten zu einem schönen Fest zu machen. Ihre Schwester und ihre drei Brüder waren zu Besuch, und Karen und Ann Marie bekamen noch viel mehr Spielzeug; aber alle fragten nach Paul.
Ruthie vermißte Paul. Sie war vierunddreißig, fünf Jahre jünger als ihr Mann, eine weiche, unselbständige Frau, und sie liebte Paul zum Teil deswegen, weil sie sich bei ihm anlehnen und Geborgenheit finden konnte. Es hatte sich immer jemand um sie gekümmert. In ihrer Kindheit waren es ihre beiden älteren Brüder oder die große Schwester gewesen, die auf sie aufpaßten, wenn ihre Mutter arbeiten ging, um das Gehalt des Vaters, eines Fernfahrers, aufzubessern.
Ruthie hatte nicht in den Iran gehen wollen. Anders als die meisten Frauen der EDS-Angestellten, die die Aussicht, in einem anderen Land zu leben, aufregend fanden, hatte Ruthie große Angst davor gehabt. Sie war noch nie außerhalb der Vereinigten Staaten gewesen – weiter als bis Hawaii war sie nicht gekommen –, und der Mittlere Osten erschien ihr unheimlich und furchterregend. Im Juni 1977 nahm Paul sie, in der Hoffnung, daß es ihr dortgefallen würde, für eine Woche mit in den Iran, aber sie kam keineswegs beruhigt zurück. Endlich willigte sie in den Umzug ein, aber lediglich, weil der Posten für Paul so wichtig war.
Schließlich fand sie dann doch Gefallen an dem Land. Die Iraner waren nett zu ihr, und in der amerikanischen Kolonie in Teheran ging es herzlich und gesellig zu. Dank ihrer Gelassenheit fiel es Ruthie nicht schwer, mit den täglichen Frustrationen fertig zu werden, die das Leben in einem rückständigen Land mit sich bringt: mit dem Fehlen von Supermärkten etwa und der Schwierigkeit, eine Waschmaschine in weniger als sechs Wochen repariert zu bekommen.
Der Abschied war ihr seltsamerweise schwergefallen. Der Flughafen war total überfüllt gewesen. Viele waren Amerikaner, die
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