Auf den Schwingen des Adlers
wohlhabenden katholischen Familien in Washington, und Bills einfühlsame, ruhige und vernünftige Art war ein guter Ausgleich für Emilys nervöse Hektik. In achtzehn gemeinsamen Jahren hatten sie schon viel durchgemacht. Eines ihrer Kinder war mit einer Hirnschädigung auf die Welt gekommen und gestorben, und Emily hatte sich drei schweren Operationen unterziehen müssen. Diese Schicksalsschläge schweißten sie zusammen.
Und hier kam schon der nächste: Bill saß im Gefängnis.
Emily hatte ihrer Mutter noch nichts davon erzählt. Ihr Onkel Gus, Mutters Bruder, war am selben Tag gestorben, und sie war ohnehin schon schrecklich niedergeschlagen. Das war nicht der richtige Zeitpunkt, um ihr von Bill zu erzählen. Mit Dorothy und Tim jedoch konnte Emily darüber reden.
Tim Reardon, ihr Schwager, war Staatsanwalt beim Justizministerium und verfügte über ausgezeichnete Beziehungen. Tims Vater war Regierungsrat bei Präsident John F. Kennedy gewesen, und Tim selbst hatte für Ted Kennedy gearbeitet. Außerdem kannte Tim den Sprecher des Repräsentantenhauses, Thomas P. »Tip« O’Neill, persönlich, ebenso wie den Senator von Maryland, Charles Mathias. Und er wußte über das Problem mit den Pässen Bescheid, denn Emily hatte ihm gleich nach ihrer Rückkehr aus Teheran davon erzählt, und er hatte mit Ross Perot darüber gesprochen.
»Ich könnte einen Brief an Präsident Carter schreiben und Ted Kennedy bitten, ihn persönlich zu überbringen«, sagte Tim.
Emily nickte nur. Sie konnte sich nur schwer konzentrieren. Was Bill wohl jetzt gerade tat?
*
Paul und Bill standen in Zelle Nummer neun. Ihnen war kalt, sie fühlten sich benommen und fragten sich verzweifelt, was nun aus ihnen werden sollte.
Paul war unbehaglich zumute: Er, ein weißer Amerikaner im korrekten Anzug, bis auf ein paar Brocken Farsi der Landessprache nicht mächtig, sah sich einer Horde gegenüber, in der jeder einzelne wie ein Mörder oder Dieb aussah. Ihm fiel ein, daß er irgendwo gelesen hatte, daß auch Männer im Gefängnis nicht selten vergewaltigt wurden, und er fragte sich bitter, wie er solch eine Situation verkraften würde.
Paul musterte Bill, dessen Gesicht vor innerer Spannung leichenblaß war.
Einer der Insassen sprach sie auf Farsi an. Paul fragte: »Spricht hier jemand Englisch?«
Aus einer Zelle gegenüber ertönte eine Stimme: »Ich kann Englisch.«
Es folgte eine laute, rasche Unterhaltung auf Farsi, dann rief der Übersetzer: »Was habt ihr verbrochen?«
»Wir haben überhaupt nichts getan«, erwiderte Paul.
»Was wirft man euch vor?«
»Nichts. Wir sind ganz normale amerikanische Geschäftsleute mit Frauen und Kindern, und wir haben keine Ahnung, warum wir hier sind.«
Das wurde übersetzt. Ein neuerlicher Schwall Farsi, dann sagte ihr Dolmetscher: »Derjenige, mit dem ich mich unterhalten habe, ist der Boß in eurer Zelle, weil er am längsten da ist.«
»Klar, verstanden«, sagte Paul.
»Er wird euch sagen, wo ihr schlafen könnt.«
Während des Gesprächs ließ die Spannung nach. Paulsah sich um. Die Betonmauern waren gestrichen und mochten einmal orangefarben gewesen sein, jetzt waren sie nur noch dreckig. Der größte Teil des Betonfußbodens war mit einem fadenscheinigen Teppich, eigentlich eher einer Matte, bedeckt. Längs der Wände standen sechs dreistöckige Betten, das unterste lediglich eine dünne Matratze auf dem nackten Boden. Der Raum wurde von einer einzigen trüben Birne erhellt und durch einen Rost in der Mauer belüftet, durch den die bitterkalte Nachtluft hereindrang. Die Zelle war überfüllt. Nach einer Weile erschien ein Wachmann, öffnete die Tür zu Zelle neun und bedeutete Paul und Bill, herauszutreten.
Na endlich, dachte Paul, jetzt entlassen sie uns. Gott sei Dank, daß ich die Nacht nicht in dieser gräßlichen Zelle verbringen muß.
Sie folgten dem Wachmann in einen kleinen Raum eine Etage höher. Er deutete auf ihre Schuhe.
Sie verstanden, daß sie ihre Schuhe ausziehen sollten.
Der Wärter reichte jedem von ihnen ein Paar Plastiklatschen. Bitter enttäuscht machte sich Paul klar, daß sie keinesfalls entlassen wurden und er wahrhaftig eine Nacht in dieser Zelle zubringen mußte. Voller Wut dachte er an die Leute von der Botschaft: Die hatten das Treffen mit Dadgar arrangiert, die hatten ihm davon abgeraten, einen Rechtsanwalt mitzunehmen, die hatten behauptet, Dadgar sei ihnen wohlgesonnen ... Ross Perot hatte für so etwas eine treffende Redensart: Manche Leute sind nicht
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