Auf den zweiten Blick
über den Flur ging; ich hatte mich daran gewöhnt, aufzuschreiben, daß ich Avocados und Seifenlotion brauchte, und die Liste Alex’ Sekretär zu geben. Als sich ein Klatschreporter auf unser Grundstück schlich und ich den Vorhang im Bad zurückschob und entdeckte, daß ich durch eine Kameralinse angestarrt wurde, schrie ich nicht einmal auf. Ganz ruhig erzählte ich Alex von dem Vorfall, so als würde mir so etwas jeden Tag passieren, und ließ ihn die Polizei anrufen.
Aber wir gingen nicht aus. Alex meinte, daß das nur zu meinem Besten sei; daß wir warten sollten, bis sich die Aufregung um unsere Hochzeit ein wenig gelegt hatte, bevor wir uns wieder in der Öffentlichkeit zeigten. Außerdem, sagte er lächelnd, wolle er mich ganz für sich allein haben. Aber je mehr Zeit ich in meinem goldenen Käfig verbrachte, desto öfter mußte ich an Ophelias Worte am Flughafen denken. Und ich wußte, daß ich, egal, was für ein märchenhaftes Leben ich jetzt führte, erst dann wirklich glücklich wäre, wenn ich eine Brücke von meinem früheren Leben in Westwood zu diesem neuen in Bel-Air schlagen konnte.
Alex hatte seinen Zeh wieder in den Pool getaucht und versuchte, damit meinen Namen zu schreiben. »C«, sagte er. »A-S-S.« Er stutzte und sah mich an. »Was hast du eigentlich gegen Cassandra?«
Ich zuckte mit den Achseln. »Ich habe nie gesagt, daß ich was dagegen habe«, stellte ich klar. »Meine Mutter wollte mich immer so nennen, bis mein Vater sie davon überzeugte, daß es für ein so kleines Mädchen ein viel zu großer Name war. Und dann, in der siebten Klasse, nahmen wir die griechische Sagenwelt durch, und meine Lehrerin ließ mich meinen Namen nachschlagen.« Ich zählte die Fakten auf, wie ich es damals vor der Klasse getan hatte: Kassandra war die wunderschöne Tochter von König Priamos und seiner Gemahlin Hekuba gewesen. Apollo hatte ihr die Gabe der Weissagung verliehen, doch als er sich in sie verliebte und sie ihn abwies, verfluchte er sie: Fortan sollte niemand mehr glauben, was sie vorhersagte, auch wenn es die Wahrheit war.
Damals, als Zwölfjähriger, hatte mir der Gedanke gefallen, daß Apollo sich aufgrund ihrer Schönheit in Kassandra verliebt hatte, aber die Art, wie sie ihr Leben fristen mußte, hatte mich erschreckt: Da ihr niemand mehr glaubte, endete sie als Sklavin und wurde schließlich ermordet. »Nachdem wir die Griechen durchgenommen hatten«, sagte ich, »erklärte ich meinen Lehrern, daß ich Cassie gerufen werden wolle, und alle anderen richteten sich danach.«
Alex zog mich hoch und drehte mich herum, so daß wir einan- .. der in die Augen sahen. »Dein Glück, Cassandra«, sagte er leise, »daß du mich nur selten abweist.«
Sein Atem strich über meinen Hals; ich schob die Hände unter den Gummi seiner Badehose und umschmiegte seine Wärme. Alex packte mich am Hinterkopf, zog mich weiter nach oben und brachte mich damit so aus dem Gleichgewicht, daß wir beide engumschlungen vom Liegestuhl purzelten und auf den Rasen neben dem Pool rollten.
»Tja«, sagte eine Stimme, »und ich dachte schon, ich käme ungelegen.«
Ich löste mich von Alex, strich mir das Haar aus der Stirn und richtete mich auf. Vor uns stand Ophelia in Johns unnachgiebigem Polizeigriff. Ihr Haar flog wirr in alle Richtungen, die Shorts waren quer über dem Po aufgerissen, und alle paar Sekunden versuchte sie Johns Hand abzuschütteln, als sei ihr seine Berührung absolut zuwider.
John sah mich an und ließ seinen Blick dann zu Alex weiterwandern. »Sie hat Juarez am Tor erklärt, sie sei eine Freundin von Mrs. Rivers, aber sie wollte nicht, daß wir im Haus anrufen, also haben wir sie weggeschickt. Und dann haben wir auf dem Monitor beobachtet, wie sie über den Zaun an der Ostseite geklettert ist.«
»Wobei mir einfällt«, sagte Ophelia zu Alex, »daß ich euch die Rechnung für die Shorts schicken werde.« Sie wandte sich an mich. »Und du solltest dich schämen, daß du mir das Paßwort für heute nicht verraten hast.«
»Ophelia«, sagte ich kopfschüttelnd, »warum hast du dich nicht einfach am Tor angemeldet?«
Ophelias Zorn und Kampfgeist fielen von ihr ab und versickerten im Gras zu ihren Füßen. »Ich wollte dich überraschen«, erklärte sie elend. »Wenn sie dich angerufen und dir erzählt hätten, daß ich komme, wäre es doch keine Überraschung mehr gewesen.«
Ich zog eine Braue hoch. Sie war die letzte, von der ich erwartet hätte, daß sie über unseren Zaun klettern würde.
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