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Auf den zweiten Blick

Auf den zweiten Blick

Titel: Auf den zweiten Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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irgendeinem Studiogelände.«
    Ophelia schüttelte den Kopf. »Aber so wird das nicht gemacht, nicht in Hollywood. Irgendwas ist da faul.« Sie sah mich unter gesenkten Lidern hervor an, und plötzlich begriff ich, was Ophelia meinte: gemäß der natürlichen Ordnung der Filmindustrie hätte eine atemberaubende, selbstbewußte, überlebensgroße Frau an Alex Rivers’ Seite gehört; eine Frau, die sich auf keinen Fall mit einer Hochzeit im stillen abgefunden hätte; eine Frau, die intuitiv begriff, daß ein Kuß auch ein Fototermin war. Alex Rivers hätte jemanden wie Ophelia heiraten sollen.
    Nie zuvor hatte ich etwas besessen, was Ophelia gewollt hatte. Wenn wir ausgingen, hatten sich die Männer nach ihr umgedreht, hatte man ihretwegen hinter vorgehaltener Hand geflüstert. Wenn überhaupt etwas, dann hatte ich für ihre Schönheit den passenden Hintergrund abgegeben.
    Aber während wir darauf warteten, daß Alex und John unser Gepäck brachten, konnte ich sehen, wie Ophelias Blick immer wieder zu den wenigen anderen Autos huschte, als hoffe sie, jemanden zu erspähen, der die Prominentenlimousine mit Chauffeur - und damit auch sie - bewunderte. Es war das erste Mal, daß sie mit mir zusammen war und nicht im Mittelpunkt stand, und unterm Strich war klar, daß das von nun an nie mehr der Fall sein würde.
    Ich hatte Ophelias Reaktion auf Alex falsch gedeutet. Sie hatte ihn taxiert, richtig, und die blauen Flecken an meinem Hals hatten sie aus dem Konzept gebracht, aber ursprünglich hatte sie sich vor allem an der Wahl gestört, die Alex getroffen hatte. Ophelia wollte mich nicht absichtlich kränken - soweit hatte sie gar nicht gedacht. Es war ihr einfach unbegreiflich, wie jemand, der unter lauter bunten Pfauen wählen durfte, sich ausgerechnet einen braunen Spatz aussuchen konnte.
    Ich ballte die Fäuste. Meine ganze Welt schien kopfzustehen. Ophelia, die ich für meine beste Freundin gehalten hatte, krittelte eifersüchtig an meiner Ehe herum. Alex, den ich anfangs für oberflächlich, eingebildet und größenwahnsinnig gehalten hatte, hatte mich beschützt, mir seine Geheimnisse offenbart und sich so geschickt in das Gewebe meines Herzens eingearbeitet, daß ich ihn nicht mehr daraus entfernen konnte, ohne alles zu zerreißen.
    Als hätten ihn meine Gedanken herbeizitiert, trat er mit John ins rosige Morgenlicht, jeder mit einem Koffer in der Hand. Sofort suchten seine Augen den Parkplatz ab. Sein Blick fiel auf mich, und seine Schultern schienen sich zu entspannen. Er hatte nach mir Ausschau gehalten.
    Ich hielt den Blick auf Alex gerichtet, während ich Ophelia antwortete: »Da ist nichts faul. Und er ist nicht so, wie du denkst.« Ich sah sie noch mal kurz an, um ihre Reaktion abzuschätzen. »Wir haben viel gemeinsam«, meinte ich noch, aber mehr sagte ich nicht, weil ich Alex’ Vertrauen nicht mißbrauchen wollte.
    »Das hoffe ich«, sagte Ophelia. Sie strich mit der Hand über die verblassenden Flecken auf meinem Hals. Sie wußte, daß ich nicht darüber sprechen würde. »Weil du ab jetzt in einer ganz anderen Welt leben wirst und er der einzige Mensch ist, den du dort kennst.«
    Alex’ Haus in Bel-Air thronte über etwa fünfzigtausend Quadratmetern und sah exakt so aus, wie ich mir die alten Plantagen vorgestellt hatte, wenn meine Mutter mir von ihrer Kindheit im Süden erzählte. Es war fast fünf Uhr morgens, als wir ankamen. Ich hob verschlafen den Kopf von Alex’ Schulter, als der Wagen die lange, kiesbestreute Auffahrt hochfuhr, und wünschte mir, meine Mutter hätte sehen können, wo ich gelandet war.
    Es war anders als die Häuser der meisten anderen Schauspieler in L. A. Bescheidenheit hatte den Glanz der goldenen Hollywood-Ära verdrängt, weil sich die Stars dadurch ein gewisses Maß an Abgeschiedenheit erkauften. Alex, der in einem Wohnwagenpark aufgewachsen war, war dazu nicht bereit. Mit einem Kloß in der Kehle begriff ich, daß Alex, dem seine Privatsphäre so wichtig war, sie bereitwillig für den Überfluß aufgab, nach dem er sich als Kind gesehnt hatte. Ich fragte mich, ob die Rechnung für ihn aufging; ob er die Erinnerungen auslöschen konnte, indem er dieses Image kultivierte.
    Obwohl es noch früh war, regte sich überall im Hause schon Leben. Ein Gärtner schnitt an der Hecke herum, die links am Haus entlanglief, und von einem der kleinen weißen Gebäude weiter hinten stieg eine dünne Rauchsäule auf. »Wie gefällt es dir?« fragte Alex.
    Ich atmete tief ein. »Es ist

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