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Auf den zweiten Blick

Auf den zweiten Blick

Titel: Auf den zweiten Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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beweisen.«
    Alex lachte. »Gern. Aber du holst den Atlas.«
    Ich tat so, als wolle ich aufstehen, aber Alex nahm seinen Arm nicht weg und zeigte mir so, daß er mich nicht gehen lassen würde. Er lag auf einem jagdgrünen, gestreiften Liegestuhl, und ich zwischen seinen Beinen, mit dem Kopf an seiner Brust. Ich schaute in den Himmel, wo die Sonne die Ränder einer Wolke, hinter der sie sich versteckte, zum Leuchten brachte. »Lernst du in deiner Freizeit den Atlas auswendig?« neckte ich ihn, dabei wußte ich die Antwort längst: Alex hatte sich Erdkunde als Kind selbst beigebracht, indem er sich die exotischen Namen jener Orte vorsagte, an denen er lieber gelebt hätte.
    Alex küßte mich auf den Scheitel, und als seien die beiden Vorgänge miteinander verbunden, trat die Sonne hinter der Wolke hervor. »Ich bin ein Mann von großem Talent und großer Empfindsamkeit«, bemerkte er trocken, und ich fragte mich, ob er ahnte, wie recht er damit hatte.
    Trotz allem, was ich dir über unsere Ankunft in L. A. erzählt habe, hatten sich meine unguten Gefühle während der Woche in Luft aufgelöst. Nach unserer Rückkehr war Alex nicht sofort wieder arbeiten gegangen und hatte mich mir selbst überlassen. Statt dessen hatten wir in der vergangenen Woche im Swimmingpool im Garten geplanscht, in dem üppigen Buchsbaumlabyrinth Verstecken gespielt und barfuß, ohne Musik, auf dem Balkon vor dem Schlafzimmer getanzt. Nach dem Abendessen schickte Alex die Angestellten nach Hause und liebte mich jeden Abend in einem anderen Zimmer: auf dem Mahagonitisch in der Bibliothek, auf dem Perserteppich im Salon, auf dem weißen Korbschaukelstuhl auf der abgeschirmten Veranda. Auf diese Weise, sagte er, wirst du nirgendwohin gehen können, ohne an mich zu denken. Im Gegenzug nahm ich ihn mit in die Universität, in mein Büro, und zeigte ihm, woran ich zur Zeit im Labor arbeitete, der Rekonstruktion eines Australopithecus-Oberschenkelknochens. Ich stellte ihn Archibald Custer vor, und Alex ließ durchblicken, daß er geneigt sein könnte, der Fakultät eine beträchtliche Summe zu spenden, wenn die Zahl der festangestellten Dozenten aufgestockt würde. Dieser Vorschlag – über den wir nicht gesprochen hatten - war mir peinlich. Man bot mir eine außerordentliche Professur und eine erstklassige Auswahl an Januarkursen an, was ich niemals angenommen hätte, wenn Alex mich nicht gebeten hätte, ihm diesen Gefallen zu tun. Du hast mein Leben verändert, sagte er. Laß mich deines verändern.
    Alex verbrachte so viel Zeit an meiner Seite - er stellte mich seinem Agenten, seinen Angestellten, seinen Freunden vor -, daß ich ihn irgendwann fragte, ob er eigentlich beabsichtige, von meinem Gehalt zu leben. Nicht daß Geld ein Problem gewesen wäre. Ophelia hatte recht gehabt - Alex verdiente an jedem Film zwischen vier und sechs Millionen Dollar. Das Geld wurde aus steuerlichen Gründen zum größten Teil in seine eigene Produktionsgesellschaft Pontchartrain Productions gesteckt. Alex zahlte sich selbst ein Gehalt aus, aber trotzdem blieb so viel übrig, daß noch jenes Drittel seines Gehalts, das verschiedenen Wohltätigkeitsorganisationen zufloß, jährlich eine siebenstellige Summe ausmachte.
    Ich war reich. Noch in Tansania hatte Alex mein Angebot, einen Ehevertrag abzuschließen, mit der Erklärung zurückgewiesen, er betrachte diese Ehe als einen Bund fürs Leben. Mir gehörten jetzt zur Hälfte eine Ranch in Colorado, ein Monet, ein Kandinsky, zwei van Goghs und eine handgeschnitzte Eßzimmereinrichtung aus Kirschholz, die dreißig Gästen Platz bot und mehr gekostet hatte als mein gesamtes Grundstudium. Aber trotzdem vermißte ich meinen alten roten Ledersessel, das erste Möbel, das ich mir in Kalifornien gekauft hatte; trotzdem sah ich immer wieder den Schreibtisch vor mir, den Ophelia von der Heilsarmee gekauft, mit Friedenssymbolen und Blümchen bemalt und mir zu Weihnachten geschenkt hatte. Meine alten Möbel waren nichts wert, paßten nicht in dieses Haus, aber als der Laster der Entrümpelungsfirma sie abholte, kamen mir die Tränen.
    Dabei war ich so gern mit Alex zusammen, daß ich mich zum ersten Mal seit Jahren nicht auf das nächste Semester freute; statt dessen sah ich die Universität als etwas, das mich von ihm entfernen würde. Dennoch, an dieses Leben mußte man sich erst gewöhnen. Inzwischen wartete ich schon auf das ehrfürchtige Flüstern von Elizabeth, dem Dienstmädchen, wenn ich morgens auf der Suche nach Alex

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