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Auf den zweiten Blick

Auf den zweiten Blick

Titel: Auf den zweiten Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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phantastisch«, sagte ich. Einen so feudalen Wohnsitz hatte ich in meinem ganzen Leben noch nicht betreten; und mir war klar, daß ich alles in meiner Macht stehende tun würde, damit Alex das winzige Apartment, in dem ich mit Ophelia gelebt hatte, nicht zu sehen bekam. Es wäre mir einfach zu peinlich gewesen.
    Alex half mir aus dem Wagen. »Die große Führung machen wir später«, sagte er. »Ich könnte mir vorstellen, daß du dich jetzt vor allem nach einer weichen Matratze sehnst.«
    Schon bei dem Gedanken mußte ich lächeln: Alex und ich unter einer Decke und in einem Bett, das endlich einmal breit genug für uns beide war. Ich folgte ihm die Marmorstufen hinauf und lächelte John an, der uns die Tür aufhielt. »Bitte sehr, Mrs. Rivers«, sagte er, und ich wurde rot.
    Alex stürmte an John vorbei und schleifte mich eine prachtvolle, geschwungene Treppe hoch, die aus Vom Winde verweht hätte stammen können. »Ich stelle dir später alle vor«, sagte er. »Sie können es kaum erwarten, dich kennenzulernen.«
    Was, dachte ich, hat man ihnen bloß erzählt? Aber bevor ich ein Wort sagen konnte, öffnete Alex die Tür zu einem ovalen Salon, der nach frischem Wind und Limonen duftete. Er durchquerte das Zimmer und schloß ein großes Fenster, so daß die Spitzenvorhänge flatternd zur Ruhe kamen. »Das ist das Schlafzimmer«, sagte er.
    Ich schaute mich um. »Hast du kein Bett?«
    Alex lachte und deutete auf eine Tür, die ich noch nicht bemerkt hatte, weil sie sich nahtlos in die blauweißen Streifen der Tapete einfügte. »Hier entlang.«
    Es war das größte Bett, das ich je gesehen hatte. Es thronte auf einem kleinen Podest und war unter einer riesigen Daunendecke begraben. Prüfend ließ ich mich am Bettrand nieder, dann öffnete ich die Tasche, die ich mit mir herumschleppte, seit wir aus Kenia abgeflogen waren, und holte die Sachen heraus, die ich beim Fliegen immer bei mir hatte: meine Zahnbürste, Toilettensachen, ein T-Shirt zum Wechseln. In das T-Shirt war das Glas mit Schnee gewickelt, das Alex mir nach Tansania gebracht hatte; ich hatte nicht riskieren wollen, daß es im Gepäck kaputtging. Ich stellte es auf den Frisiertisch aus Ahornholz, neben Alex’ Haarbürste und einen hohen Stapel fotokopierter Drehbücher.
    Alex schlang von hinten die Arme um mich und zog mir das Hemd über den Kopf. »Willkommen daheim«, sagte er.
    Ich drehte mich in seinen Armen um. »Danke.« Ich ließ mir von ihm die Leinenhose aufmachen und Schuhe und Socken ausziehen, mich ins Bett stecken. Ich drückte die Arme in die nachgiebige Daunendecke und wartete darauf, daß Alex nachkam.
    Er drehte sich um und ging durch die Tür ins Nebenzimmer, und ich schoß hoch. »Wohin gehst du?« Meine Stimme überschlug sich vor Angst.
    Alex lächelte. »Ich glaube, ich kann noch nicht schlafen«, sagte er. »Ich werde unten noch ein bißchen arbeiten. Wenn du aufstehst, bin ich hier.«
    Dabei wünschte ich mir so sehr, daß er bei mir blieb und dieses fremde Zimmer heimisch für mich machte. Ich strich mit den Händen über den Fleck, wo er hätte liegen sollen. Ich sah die Morgensonne in Kenia vor mir, wo wir stundenlang im Bett bleiben konnten, ohne daß die Welt durch den dünnen Spalt unter der Tür zu uns hereindringen konnte. Aber was sollte ich zu Alex sagen? Ich fürchte mich allein in diesem Haus. Ich kenne hier niemanden. Bleib bei mir, damit ich weiß, wohin ich gehöre. Oder die tiefere Wahrheit: Ich erkenne mich selbst nicht. Ich erkenne nicht mal dich.
    Die Tür fiel leise hinter ihm ins Schloß, und ich blieb ratlos zurück. Ich ermahnte mich, mich nicht so dämlich aufzuführen; ich heftete den Blick auf das Glas mit Schnee auf der Kommode, den einzigen Gegenstand im Haus, den ich bislang mein eigen nennen konnte. Die Sonne flutete durch die Balkontüren ins Schlafzimmer wie ein sich ausbreitendes Feuer, wie eine Anklage. So, dachte ich, fängt es also an.

15
     
    »Deutschland.«
    »Dänemark.«
    Alex strich mit den Fingern über meine Rippen. »Dänemark hattest du schon.«
    Ich hielt seine Hände fest und drückte sie an mich. »Dann Dominikanische Republik.«
    Alex schüttelte den Kopf. »Die hatte ich schon. Gib doch zu, du hast verloren. Wir haben alle Länder durch, die mit D anfangen.«
    Ich zog die Brauen hoch. »Ehrlich?« fragte ich. Wir hatten Stadt-Land-Fluß gespielt, an einem faulen Donnerstagnachmittag, und uns schließlich darauf verlegt, nur noch Länder zu nennen. »Das mußt du mir

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