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Auf den zweiten Blick

Auf den zweiten Blick

Titel: Auf den zweiten Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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wissen die Besitzer nicht, und sie werden es erst merken, wenn ich auf der Bühne stehe. Und schließlich kann man nie wissen, wer im Publikum sitzt.« Sie lächelte. »Außerdem haben sie mich im voraus bezahlt.«
    Ich mußte einfach lachen; Ophelia war wirklich die beste Medizin. »Wie in Gottes Namen hast du ihnen weisgemacht, daß du Blues singen kannst?«
    Ophelia verschwand wieder im Schlafzimmer, offensichtlich um nach dem roten Abendkleid zu suchen. »Ich habe sie angelogen«, rief sie.
    Ich zog mir die Decke um die Schultern, um mein Geheimnis an mich zu ziehen. »Wie schaffst du das bloß?« fragte ich. »Ich meine, kommst du mit deinen Geschichten nie durcheinander?«
    Ophelia kam wieder herausmarschiert, das Kleid lässig über eine Schulter geworfen. »Dein Problem ist, daß du zu lange ehrlich warst. Wenn du erst einmal damit anfängst«, erklärte sie fröhlich, »ist Lügen einfacher als Atmen.« Sie klemmte sich das Kleid unters Kinn und drehte sich vor mir im Kreis.
    »Billie Holiday würde vor Neid erblassen«, sagte ich. Ich rutschte in meinem Sessel herum und zuckte zusammen, als ich dabei mit der Seite an die Armlehne kam.
    Ophelia sah mich eindringlich und ernst an. »Du bist doch hoffentlich nicht krank?« Sie zupfte an der Decke. »Ich meine, ist dir kalt?«
    Ich ließ mir von ihr die Hand auf die Stirn legen, wie ich es ihr Vor Jahren beigebracht hatte, und zog mir die Decke fester um die Schultern. Ich haßte Alex, weil er mich dazu zwang. »Um ehrlich zu sein«, sagte ich, »ich glaube, ich habe mir tatsächlich was eingefangen.«
    Nach einem Jahr an Alex’ Seite war mir klar, daß ich eigentlich viele verschiedene Männer geheiratet hatte - wobei Alex immer dann einsprang, wenn kein anderer zur Hand war. Er konnte seine Arbeit abends nicht einfach im Studio lassen, deshalb landete jede Figur, die er spielte, schließlich in meinem Bett oder saß mir gegenüber am Früh Stückstisch. Eines muß ich ihm lassen – es belebte unsere Beziehung. Während der acht kurzen Wochen, in denen er Speed abdrehte, einen Actionfilm über einen Piloten, war er großspurig, aufbrausend und energiegeladen. Als er im Sommer in einer professionellen Theatergruppe den Romeo gab, betörte er mich abends mit der überschäumenden Leidenschaft eines Teenagers, der verliebt in die Liebe ist.
    Als Pilot hatte er mir nicht gefallen, aber er war erträglich gewesen. Und Romeo machte mich nervös: Ich begann, im Spiegel nach neuen Falten zu suchen und mich zu fragen, wie ich nach einem ganz normalen Tag so müde sein konnte, während Alex’ Kräfte sich offenbar nie erschöpften. Doch seit Alex Antonius und Kleopatra drehte, hatte ich es erstmals mit einem Filmcharakter zu tun, den ich einfach nicht in meiner Nähe haben wollte. Auf meinem Tischkalender in der Universität strich ich mir an, wie viele Tage die Dreharbeiten noch dauern würden, wie lange ich noch warten mußte, bis Alex endlich wieder einfach Alex war.
    In mehr als einer Hinsicht fiel es Alex nicht schwer, den Antonius zu spielen, und ich glaube, vor allem das machte die Rolle für ihn so attraktiv. Antonius war von Macht und Ehrgeiz getrieben, ein Mann, der sich seine Königin erwählt hatte; ein Mann, der, in Shakespeares Worten, »alle Phantasie überragt«. Aber Antonius war zugleich besessen, voreingenommen und paranoid. Ausgerechnet seine Fixierung auf Kleopatra - seine Eifersucht - machte ihn verwundbar und erleichterte es seinen Feinden, beide zu Fall zu bringen. Man brauchte Antonius nur davon zu überzeugen, daß Kleopatra ihn an Cäsar verraten hatte, und schon fiel seine Welt in Scherben.
    Natürlich ist es auch eine herzerweichende Liebestragödie: da Antonius glaubt, daß Kleopatra zu Cäsar übergelaufen ist, beschuldigt er sie, und aus Angst um ihr Leben läßt sie ihm hinterbringen, sie habe sich getötet. Als der Bote Antonius erklärt, daß sie mit seinem Namen auf den Lippen gestorben sei, überwältigt ihn sein Schuldgefühl, und er stürzt sich in sein Schwert, nur um in den Armen einer höchst lebendigen Kleopatra zu sterben. Um sich Cäsar nicht beugen zu müssen, tötet sich Kleopatra daraufhin wirklich mit einer giftigen Natter. Das Stück dreht sich um eine Reihe von Mißverständnissen und Lügen, die am Ende den Lügner selbst treffen; es ist die Geschichte zweier Liebender, die ihr Glück nur in einer Welt finden können, in der es niemanden gibt, der sie zu vorschnellen Urteilen verführen könnte.
    Ich war bestimmt

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