Auf den zweiten Blick
schwindlig. Instinktiv wußte ich, daß ich auf etwas Bedeutendes gestoßen war, auch wenn ich noch keine Proben zur Altersbestimmung eingeschickt hatte. Mein Herz begann zu rasen, als mir klar wurde, was diese Entdeckung beweisen würde - daß die Hominiden die geistige Kapazität besaßen, Werkzeuge zu entwickeln, und nicht auf das angewiesen waren, was auf natürliche Weise durch Wasser oder Versteinerung entstand. Ich würde als Heldin heimkehren. Archibald Custer konnte mich am Arsch lecken. Ich würde so berühmt werden wie Alex.
Ich konnte es kaum erwarten, ihm alles zu erzählen. Im Ausgrabungslager gab es kein Telefon, deshalb würde ich noch am selben Abend in den Ort fahren und zu Hause anrufen. Mir hatte die Vorstellung nicht gefallen, einen ganzen Monat von ihm getrennt zu sein, aber ich machte meine Feldstudien während der Semesterferien, und Alex filmte ohnehin zwölf Stunden am Tag. Sonntags und mittwochs saß ich auf dem Lehmboden des kleinen Kramladens im Ort und telefonierte mit ihm. Ich klemmte mir den Hörer ans Ohr und kratzte seinen Namen mit einem Zweig in den roten Dreck; ich schloß den Klang seiner Stimme in meinem Herzen ein, um ihn tief in der Nacht wieder hervorzuholen und mir einzubilden, Alex liege neben mir.
Ich blinzelte in die heiße Mittagssonne und betastete die geriffelte graue Erde links von der Hand. Aus der Ferne wehte der Wind leises metallisches Klopfen und Lachen heran. Ein paar Studenten im Hauptstudium halfen mir bei der Arbeit; einer von ihnen hatte vor kurzem einen Unterkiefer gefunden, aber ansonsten hatte es keine aufsehenerregenden Funde gegeben. Ich lächelte und trat hinter dem Erdwall hervor, so daß sie mich sehen konnten. »Wally«, rief ich, »bringen Sie mir eine Plane.«
Den Rest des Tages verbrachten wir damit, die Hand freizulegen. Man fand selten etwas so Zerbrechliches wie eine versteinerte Hand, deshalb wäre es undenkbar gewesen, auch nur einen Fingerknochen zu gefährden. Ich arbeitete mit zwei Studentinnen zusammen; eine half mir, die Hand freizubekommen und zu säubern, die andere beschriftete die Knochen mit Tusche, um die Rekonstruktion zu erleichtern. Einen dritten Studenten hatte ich in den Ort geschickt. Er sollte die Universität telegrafisch von unserem Fund verständigen und eine verpackte Probe auf die Post bringen, die zum Datieren nach Kalifornien geschickt werden sollte. Abends gab es zur Feier des Tages Spaghetti á la Boyardee und drei Flaschen Wein.
Ich schaute den Studenten zu, während sie das Lagerfeuer aufschichteten, und lauschte ihren Phantasien, in denen ich zum Oberguru aller Bioanthropologen aufstieg und sie mir als Jünger folgten. Als sie sich ausmalten, wie Professor Custer lebendig begraben werden sollte, damit ihn ein bedauernswertes Erstsemester in ein paar tausend Jahren wieder ausbuddeln konnte, mußte ich lachen, aber die meiste Zeit schaute ich nur in die Flammen, die im Rhythmus meines Pulses tanzten. Wenn ich Ausgrabungen machte, erwachte ich zum Leben. Nicht nur weil ich die Hand entdeckt hatte, obwohl mir in diesem Augenblick vor Glück fast schwindlig war. Es war einfach die Freude, nach etwas Unbekanntem zu suchen! Es war genauso, als würde man einen Schatz suchen oder alle Weihnachtsgeschenke durchwühlen, bis man auf das lang ersehnte Päckchen stößt. Als Alex’ Film in die Kinos gekommen war, der, bei dem wir uns kennengelernt hatten, war das der herausragendste Zug seines Filmcharakters gewesen. Ich entsann mich, daß ich die Arbeitskopien angesehen und Alex erklärt hatte, wie sehr mich das beeindrucke. Und Alex hatte geantwortet, das habe er sich bei mir abgeschaut.
Die Frau vom Amt brauchte zehn Minuten, um eine Verbindung in die Staaten herzustellen, und überdies hatte ich nur eine winzige Chance, daß Alex zu Hause war. Erst als er selbst abnahm und sich schlaftrunken meldete, fiel mir ein, daß es dort mitten in der Nacht sein mußte. »Weißt du, was?« sagte ich und hörte meine Stimme als blechernes Echo aus dem Hörer.
»Cassie? Ist alles in Ordnung?«
Ich sah bildhaft vor mir, wie er sich aufsetzte und das Licht anknipste. »Ich habe was gefunden. Eine Hand, und zwar mit Werkzeug.« Ohne ihm Zeit für irgendwelche Fragen zu lassen, setzte ich zu einem Monolog darüber an, wie unwahrscheinlich ein solcher Fund war und was das für meine Karriere bedeutete. »Es ist so, als würdest du einen Oscar bekommen«, sagte ich. »Damit gehöre ich zur absoluten Spitze.«
Als Alex nicht
Weitere Kostenlose Bücher