Auf den zweiten Blick
vor Anstrengung, und unter meiner Jackenkapuze lief mir der Schweiß in den Hals. Ich schichtete die Säcke, so hoch ich konnte, einen auf den anderen, einen Stapel neben den nächsten.
Der Regen heulte uns um die Ohren, peitschte uns nassen Sand in die Augen und ließ die Wellen hüfthoch heranrollen. Über uns, in der Wohnung nebenan, hörte ich Glas klirren.
Ich schaute kurz auf, um festzustellen, welches Fenster zerbrochen war und warum, als Alex mich an den Schultern packte. Er schüttelte mich so fest, daß mein Genick knackte. »Mein Gott!« schrie er mich an. Seine Worten waren in dem Wind kaum zu verstehen. »Kannst du denn nie was richtig machen?« Er trat gegen die Sandsackstapel, die ich so säuberlich aufgeschichtet hatte; als sie nicht umfielen, warf er sich mit seinem ganzen Gewicht dagegen, bis sie in die tosende Brandung kippten. » Nicht so!« brüllte er. »So wie meine!« Er deutete auf den Wall, den er errichtet hatte – seine Säcke waren säuberlich versetzt übereinandergeschichtet wie Steine in einer Ziegelmauer. Er schubste mich grob zur Seite und fügte dann die nassen Säcke, die er von meinen Stapeln gestoßen hatte, an seinen Wall.
Ich schirmte mir die Augen ab und schaute nach links und rechts, ob unsere Nachbarn wohl mitbekommen hatten, wie Alex mich anschrie. Dann starrte ich benommen auf mein Werk, an dem ich über eine Stunde gearbeitet hatte und das jetzt als durchnäßter Haufen in der Brandung lag.
Es war meine Schuld; ich hatte nicht nachgedacht. Ein starker Windstoß konnte eine Reihe von einzelnen Stapeln leicht umreißen, eine geschichtete Mauer wie Alex’ dagegen würde viel mehr aushalten. Wortlos trat ich neben Alex und begann, seine Bewegungen, seine Arbeitsweise und sogar seinen Schritt nachzuahmen, damit er nichts mehr an mir auszusetzen hatte. Ich ignorierte den Schmerz in meiner Schulter und das Pochen in meiner Seite, denn ich war fest entschlossen, diesmal alles richtig zu machen.
Alex kam auf den Balkon und sah, wie Ophelia mir die Hand auf die Stirn legte. »Eiskalt«, sagte sie, aber sie sah Alex dabei an. Sie stemmte die Hände in die Hüften. »Cassie fühlt sich nicht besonders. Vielleicht solltest du heute abend ohne sie gehen.«
Alex feixte. »Und statt dessen dich mitnehmen?«
Ophelia wurde rot und wandte den Blick ab. Sie drückte mir zum Abschied die Schulter. »Ich wollte gerade gehen«, verkündete sie und drängte sich betont rücksichtslos an Alex vorbei.
Ich sah ihr nach, noch lange nachdem ihre Gestalt hinter den weißen Gardinen unseres Schlafzimmers verschwunden war. Dann starrte ich auf das Muster in den Gardinen. Ich wollte Alex nicht ansehen.
»Hast du es ihr erzählt?«
»Was glaubst du denn?« Ich sah ihn an, bemerkte die traurigen Falten, in denen sich das klare Grau seiner Augen brach, und wußte, daß ich ihm nicht noch größere Schmerzen zufügen konnte, als er sich selbst zufügte. Ich schluckte und wandte den Blick ab.
Plötzlich hielt mich Alex in seinen Armen; die Decke fiel von mir ab und entblößte die roten Male auf meinem Arm und die Schwellung unterhalb der Rippen. Er trug mich ins Schlafzimmer und legte mich sanft auf dem Bett ab, so vorsichtig, daß die Decke nicht einmal Falten warf. Er knöpfte meine Bluse auf.
Er strich mit den Lippen über jedes Mal, jede wunde Stelle; er nahm den Schmerz fort und hinterließ dafür seine Tränen. Ich preßte seinen Kopf an meine Brust, weil diese Zärtlichkeit mich mehr schmerzte als alles andere. »Ganz ruhig«, flüsterte ich und streichelte seine Stirn. »Es ist schon gut.«
Was mir zuallererst ins Auge sprang, war, daß die Knochen der Hand nach mir ausgestreckt waren, als wollten sie mich zurückhalten, falls ich die Absicht haben sollte wegzugehen. Ich nahm einen kleinen Pinsel und fegte die Zweige und die lose Erde beiseite, bis ich ein fast intaktes Handgelenk und fünf Mittelhandknochen freigelegt hatte, die sich immer noch um ein Steinwerkzeug schlossen. Ich fuhr mit dem Finger über die Knochenfragmente, den winzigen Faustkeil, und dann lächelte ich. Vielleicht hätte mich die Hand gar nicht zurückgehalten. Vielleicht hätte sie mich angegriffen.
Die Hand ruhte in Sedimentgestein, das mir bis zur Schulter reichte, und sie war so deutlich zu sehen, daß ich mich fragte, wie sie all die Jahre hatte unentdeckt bleiben können. Es war keine neue Ausgrabungsstätte; das Gelände in Tansania wurde schon seit Jahrzehnten von Anthropologen durchkämmt.
Mir wurde
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