Auf den zweiten Blick

Titel: Auf den zweiten Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult

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seinen Augen in ein strahlendes, überirdisch leuchtendes Wesen verwandelt. Sobald Alex auf dem Bildschirm war, erwachte sie zum Leben.
    Will war noch nie so wütend gewesen.
    Vor vier Wochen hatte Cassie vor seiner Tür gestanden; damals hatte er mit eigenen Augen gesehen, welche Spuren der Zorn des erlauchten Alex Rivers hinterlassen hatte. Er hatte verstanden, welche Last sie hatte tragen müssen. Aber bis zu diesem Augenblick hatte Will keine Ahnung gehabt, wieviel Alex Cassie genommen hatte.
    Alex’ goldenes Haar strahlte heller als der Oscar, und Cassie beobachtete, wie sich seine Hände um den Leib der Statuette schlossen. Er sah sie an, nur sie. »Ich möchte Herb Silver danken, und allen bei Warner Brothers und Jack Green und…« Cassie hörte ihn nicht mehr, sah nur noch seinen Mund, rosa, perfekt, stellte sich vor, wie sich seine Lippen auf ihre legten. »Aber eigentlich gebührt dieser Preis meiner Frau Cassie, die das Drehbuch entdeckt und mich davon überzeugt hat, daß das nicht nur ein Film ist, den das Publikum sehen will, sondern auch ein Film, der für mich selbst wichtig ist. Sie ist heute abend bei ihrem kranken Vater. Als ich vor ein paar Stunden mit ihr telefonierte, war sie zutiefst betrübt, weil sie nicht rechtzeitig zurückkommen konnte. Ehrlich gesagt war ich ein bißchen nervös, deshalb vergaß ich das Wichtigste, bevor ich wieder auflegte. Was ich ihr sagen wollte, war: Auch wenn du am anderen Ende der Welt bist, Cassie, bist du immer bei mir.« Er blinzelte und sah wieder in das Meer der zu ihm aufblickenden Gesichter. »Danke«, sagte er, und viel zu schnell war er verschwunden.
    Cassie verfolgte, wie er noch zwei Oscars entgegennahm. Es war eindeutig Alex’ Nacht, und trotzdem vergaß er nie, sie zu erwähnen. Beim zweiten Mal erklärte er aller Welt, daß er sie liebe. Beim dritten Mal flüsterte er so leise: »Komm bald heim«, daß Cassie sich fragte, ob irgendwer außer ihr die Worte gehört hatte.
    Während Will sie aus ihrem Stuhl zog und zur Tür hinausschob, versuchte sie sich auszumalen, wie dieser Abend wohl an seiner Seite verlaufen wäre. Sie hätte den Hauch eines Kleides getragen - dafür hätte Alex gesorgt –, und jedesmal, wenn man ihn aufgerufen hätte, hätte er sie in einer Umarmung aus dem Sitz gehoben. Sie konnte seine starken Arme spüren und den kitzelnden Smokingstoff unter ihren Fingern, während sie an seiner Seite durch das Spago und durch The Gate zog, von einer Oscarfeier zur nächsten. Sie hätte zwei Statuen getragen und die Wärme gespürt, die seine Hände an den nackten Hälsen hinterlassen hatten. Dann wäre sie heimgefahren und hätte die Oscars auf den Teppich fallen lassen, und Alex hätte sich in sie ergossen, heiß und ungestüm, mit der Leidenschaft des Erfolgs.
    Statt dessen trat Cassie in die kalte Märznacht, noch halb betäubt von der Parade unzähliger Stars, und ließ sich durch den Kopf gehen, was sie aus ihrem Leben gemacht hatte.
    Will sah, wie ihre Mundwinkel herabsanken. Die ganze Sendung hindurch hatte sie vor sich hingebrütet, ungeachtet der Tatsache, daß dieser aalglatte Alex vor zwanzig Millionen Zuschauern erklärt hatte, sein ganzes Leben drehe sich einzig und allein um seine Frau. Herrgott, er hatte sogar zugegeben, daß sie nicht in der Stadt war, wenn er auch die Gründe für ihre Abwesenheit schöngelogen hatte. Er war nicht blöd, er hatte genau gewußt, daß sie zuschauen würde. Will hätte sich ja widerwillig damit trösten können, daß der ganze Auftritt nichts als Berechnung war, wenn er nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, daß Alex’ Worte haargenau zu Cassies Haltung vor dem Bildschirm paßten.
    Wahrscheinlich liebte Alex sie wirklich, was immer das auch für Cassie bedeuten mochte, und Cassie schien der Meinung zu sein, daß es eine Menge bedeutete. Aber Will brachte der Gedanke, die beiden könnten wieder zueinanderfinden, fast um. Sie würde sich wahrscheinlich an Alex klammern, als habe sie Knie aus Gummi, und Alex würde sie anstarren wie… er würde sie genauso anstarren, wie Will sie den ganzen Abend angestarrt hatte.
    »Das war vielleicht was«, meinte Will unverfänglich, während er die Beifahrertür des Pick-ups aufschloß.
    »Mhm«, antwortete Cassie. Sie sah elend aus.
    »Dein Mann hat gerade die Oscars abgeräumt«, brummte Will. »Du könntest ruhig ein bißchen Gefühl zeigen.« Er packte Cassie bei den Schultern und schüttelte sie sanft. »Er vermißt dich. Er ist verrückt nach dir.