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Auf den zweiten Blick

Auf den zweiten Blick

Titel: Auf den zweiten Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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Augen; er ließ den Kopf auf die Tischplatte sinken.
    Bester Film, bester Darsteller, bester Regisseur, schlechtester Ehemann. Alex hatte immer die Parallelen zwischen der Kunst und dem Leben gesehen, aber nie hatte ihn die Erkenntnis derart erschüttert. An seinen Dankesreden heute abend hatte er lange gefeilt; jedes Wort war sorgsam gewählt, um Cassie zu erreichen und sie zu ihm zurückzuholen, wo immer sie auch sein mochte. Erst allmählich begann er zu begreifen, wie ernst ihm war, was er gesagt hatte.
    Selbst wenn er morgen mit hundert Filmangeboten mit Gagen von zwanzig Millionen Dollar aufwärts aufwachte, wäre das nicht genug. Es wäre nie genug. Er würde auf all das verzichten und in einem Pappkarton am Strand leben, wenn er dafür jenen Teil aus sich herausreißen könnte, der ihr so viel Leid zufügte.
    In den unruhigen Schatten seines Arbeitszimmers verriet Alex Rivers flüsternd das Geheimnis, das keiner aus der immer noch feiernden Schickeria auf dem Sunset Boulevard kannte: Er war ein Niemand.
    Bis.
    Sie ihn ganz machte.
    Als der Privatanschluß neben seinem Kopf klingelte, wußte er, daß er sie heraufbeschworen hatte. Er nahm ab und wartete, bis er Cassies Stimme hörte.
    Alex konnte nicht wissen, was Cassie auf sich genommen hatte, um ein Telefon zu finden. Sie hatte sich an Will vorbeischleichen müssen, der auf dem Boden lag, sich schlafend stellte und sie ohne ein Wort gehen ließ. Sie hatte ohne Erlaubnis mit Wills Pick-up zur katholischen Kirche fahren und den Pfarrer wecken müssen, in der Hoffnung, daß ihre weiße Haut die erfundene Geschichte von einem Notfall glaubhafter machte. Sie hatte mit klopfendem Herzen minutenlang warten müssen, bis die Vermittlung endlich Bel-Air erreicht hatte.
    »Alex«, flüsterte sie. Das Wort war eine Umarmung. »Herzlichen Glückwunsch.«
    Es war so lange her, und Alex war so erschrocken, daß seine Fernsehansprache sie tatsächlich zurückgebracht hatte, daß er einen Augenblick lang überhaupt nichts sagen konnte. Dann sackten seine Schultern nach vorne, als wolle er Cassies Stimme mit seinem ganzen Körper einfangen. »Wo bist du?« fragte er.
    Das hatte sie erwartet. Sie wollte ihm nichts verraten; sie wollte nur Alex’ Stimme hören. »Das werde ich dir nicht verraten. Ich kann nicht. Aber mir geht es gut. Und ich bin sehr stolz auf dich.«
    Alex begriff, daß er ihre Stimme inhalierte, daß er sie in sein Herz schloß, um sie später wieder und wieder hören zu können. »Wann kommst du zurück? Wieso bist du weggegangen?« Er zügelte seine Emotionen. »Ich könnte dich finden, weißt du?« deutete er vorsichtig an. »Wenn ich wollte, könnte ich dich finden.«
    Cassie atmete tief durch. »Das könntest du«, erklärte sie mit einstudierter Kühnheit. »Aber du wirst es nicht tun.« Sie erwartete, daß er ihr widersprechen würde. Als er schwieg, erklärte sie ihm, was er längst wußte. »Ich werde nicht zurückkommen, weil du das willst, Alex. Ich werde nur zurückkommen, weil ich es will.«
    Das war eine Lüge; wenn er zusammengebrochen wäre und sie angefleht hätte, hätte sie den nächsten Flug nach L. A. genommen. Sie bluffte, und vielleicht wußte Alex das sogar, aber er wußte auch, wieviel auf dem Spiel stand. Schließlich hatte Cassie sich nie zuvor vor ihm versteckt. Und wenn er nach ihren Regeln spielen mußte, damit es ein Happy-End gab, würde er alles tun, worum sie ihn bat.
    Also schluckte er seinen Stolz hinunter, seine Angst und sein Versagen. »Geht es dir wirklich gut?« fragte er leise.
    Cassie wickelte sich die Telefonschnur wie ein Armband um das Handgelenk. »Ich bin okay«, sagte sie. Sie schaute auf und entdeckte die Silhouette des Pfarrers an der Pfarreitür. »Ich muß jetzt Schluß machen.«
    Alex erschrak, umklammerte den Hörer fester. »Rufst du wieder an?« drängte er. »Bald?«
    Cassie dachte darüber nach. »Ich rufe wieder an«, gestand sie ihm zu, weil sie an das Baby dachte. Alex hatte ein Recht, von ihm zu erfahren. »Ich rufe dich an, wenn du mich abholen sollst.«
    Sie wollte, daß er sie abholte. Sie wollte ihn. » Sprechen wir über Tage? Wochen?« fragte Alex. Er ließ ein Lächeln anklingen. »Denn von heute an ist mein Terminkalender ein einziger Alptraum.«
    Cassie lächelte. »Ich bin überzeugt, daß du Prioritäten setzen kannst«, sagte sie. Sie zögerte, und dann gab sie Alex ein Geschenk, um ihm durch die langen Monate zu helfen, die vor ihnen lagen. »Du fehlst mir«, flüsterte sie. Sie

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