Auf den zweiten Blick
Wo zum Teufel liegt euer Problem?«
Cassie zuckte mit den Achseln, ein kaum wahrnehmbares Zittern, das sich unter Wills Händen fortsetzte. »Wahrscheinlich wäre ich trotz allem gern bei ihm gewesen«, gab sie zu.
Will explodierte. »Vor vier Wochen konntest du es gar nicht erwarten, endlich wegzukommen. Du hast mir gezeigt, wo er dich in die Rippen getreten und auf den Hals geschlagen hat. Oder hast du vergessen, daß dein charmanter Gemahl auch ganz anders sein kann? Ich wette, er hat gehofft, daß du genau das vergißt, wenn du ihn heute siehst, und zu ihm zurückgekrochen kommst!« Er funkelte Cassie an, die stumm und mit halboffenem Mund vor ihm stand. »Glaub mir, denn ich weiß das besser als jeder andere: Du kannst nicht von allem nur das Sahnehäubchen bekommen.«
Sie starrte ihn an, als habe sie ihn noch nie gesehen, und wollte einen Schritt zurück machen. Aber Will ließ sie nicht los. Sie sollte endlich einsehen, daß er recht hatte. Cassie sollte die hübsche Verpackung wegreißen, in der sich Alex ihr heute abend via Fernseher präsentiert hatte, und ihn so sehen, wie er wirklich war. Sie sollte ihn – Will – so ansehen, wie sie Alex angesehen hatte.
Will krallte seine Finger in Cassies Schulter und preßte seine Lippen auf ihre. Wütend bearbeitete er ihren Mund, erzwang sich mit der Zunge Einlaß, bis sie mit der Sanftmut einer Heiligen seinem Drängen nachgab. Langsam krochen ihre Arme um seine Taille - eine weiße Flagge, eine selbstlose Kapitulation, die augenblicklich sein Gewissen wachrüttelte.
Abrupt ließ er sie los. Er war wütend auf sich, weil er sich so wenig unter Kontrolle hatte, und auf Cassie, weil sie einfach zur falschen Zeit am falschen Ort war. Die Frau eines anderen Mannes. Schwanger. Er stampfte zur Fahrertür, schwang sich hinters Steuer, startete den Motor und schaltete die Scheinwerfer ein, die Cassie in strahlendes Licht tauchten. Sie stand wie erstarrt vor ihm. Eine Hand lag auf ihrem Mund; ihr Ehering glänzte prophetisch. Und Will war zu weit weg, um sagen zu können, ob sie seinen Kuß wegwischte oder festzuhalten versuchte.
Alex Rivers, im Augenblick - also kurz nach vier Uhr morgens - der begehrteste Schauspieler-Regisseur in Hollywood, saß in seinem dunklen Arbeitszimmer in Bel-Air. Sein Blick ruhte auf den drei Goldstatuetten, die er wie Schießbudenfiguren vor sich aufgebaut hatte. Was für eine Nacht. Was für eine Scheißnacht.
Noch nie hatte er sich so danach gesehnt, betrunken zu sein, aber egal, wieviel Champagner er auch sich selbst zu Ehren hinuntergeschüttet hatte, das Vergessen wollte sich einfach nicht einstellen. Die letzte Party hatte er vor gut einer Stunde verlassen. Als er gegangen war, wollte Melanie gerade mit einem Kostümbildner im Bad Koks schnupfen, und Herb verhandelte mit einer Horde von Produzenten über Alex’ von Minute zu Minute wachsende Gage. Die Pannenserie bei Macbeth war schlagartig vergessen; Alex war wieder der Goldjunge. Als er sich an der Tür umgedreht hatte, redete jeder über ihn, aber niemandem fiel auf, daß er ging.
Er fragte sich, ob Cassie heute abend zugesehen hatte, und hätte sich gleich darauf allein für den Gedanken ohrfeigen können.
Dies war seine Nacht. Herrgott, wie lange hatte er darauf hingearbeitet? Wie lange hatte er sich immer wieder bewähren müssen? Er fuhr mit der Hand über die kahlen Köpfe der Statuen und wunderte sich, wie lange sie die Wärme einer Berührung speicherten.
Er nahm den ersten Oscar und wog ihn in der Hand wie einen Baseball. Dann schlossen sich seine Finger darum. »Der ist für dich, maman«, fluchte er und schleuderte ihn mit solcher Wucht quer durchs Zimmer, daß die Figur beim Aufprall die Tapete aufriß und eine Delle in die Gipsplatte darunter schlug.
Er nahm den zweiten, den für seinen Vater, und schleuderte ihn hinterher. Er schnaufte zufrieden, als seine Finger das glatte Metall freigaben.
Seine Lippen verzogen sich zu der Parodie eines Lächelns, als er den dritten Oscar packte. Das Beste zum Schluß. Er schloß die Hand um den schmalen Körper, dachte an sein liebes, ergebenes Weib und holte aus.
Er brachte es nicht über sich. Mit einem eigenartigen Klagelaut, der ihm tief aus der Kehle drang, fiel Alex in den Bürosessel zurück. Wie um Verzeihung bittend strich er über die Statuette, so als würde er die weiche Haut an Cassies Hals und die stumpfen Spitzen ihres Haares unter seinen Fingern spüren. Er preßte sich die Handballen auf die brennenden
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