Auf den zweiten Blick
nach L. A. gepaßt hätte. Sie beugte sich vor und fuhr mit den Fingern über den Dreitagebart an seinem Kinn. »Du siehst schrecklich aus, Alex«, sagte sie. »Auch wenn du zur Zeit wahrscheinlich nicht oft Besuch kriegst.«
»Ophelia«, seufzte Alex, »was zum Teufel willst du von mir?«
Ophelia ging vor Alex in die Hocke, so daß sie genau auf Augenhöhe waren. Beide starrten einander an, weil keiner als erster wegsehen wollte. »Sagen wir einfach, es liegt in unser beider Interesse, daß wir das Kriegsbeil begraben«, erklärte sie. »Inzwischen sind vier Monate vergangen, und Cassie hat sich immer noch mit keinem von uns in Verbindung gesetzt –«
Bevor er sich beherrschen konnte, hatte Alex den Kopf weggedreht.
»Scheiße«, flüsterte Ophelia mit großen Augen. »Du hast von ihr gehört.«
Alex schüttelte den Kopf und versuchte, seinen Fehler mit einem Wortschwall zu überspielen.
»Alex«, unterbrach ihn Ophelia, »erspar mir das.« Sie stand auf und klatschte sich die weißen Handschuhe gegen den Schenkel. »Ich komme her, um mich mit dir zu verbünden, dabei hast du Cassie längst gefunden.« Sie kniff die Augen zusammen. »Warum bist du nicht bei ihr?«
»Sie hat mir nicht verraten, wo sie ist«, gab Alex zu. »Nur daß es ihr gutgeht. Und daß sie anruft, wenn sie wieder heimkommen will.«
»Und seitdem versuchst du, sie aufzuspüren?« Sie legte den Kopf schief. »Natürlich versuchst du das. Wenn du nicht so mit Cassie beschäftigt wärst, hättest du vielleicht sogar gemerkt, daß deine Karriere total im Eimer ist.« Sie lachte; ein helles, klarinettenähnliches Lachen. »Sie hat dich tatsächlich angerufen. So was. Möglicherweise habe ich dir doch unrecht getan. Ich mag dich ja nicht besonders, aber Cassie anscheinend schon. Immer noch. Darum bin ich gewillt, dir zu glauben, daß dir wirklich etwas an ihr liegt.«
Alex senkte den Blick. »Mein Gott«, brummte er. »Komm zur Sache.«
Ophelia ging wieder vor Alex in die Hocke. »Die Sache ist die«, sagte sie kühl und pflückte das Glas aus seiner Hand. »Du hast Cassie nicht verdient, aber offenbar will sie irgendwann zu dir zurückkommen. Und Cassie hat es ganz bestimmt nicht verdient, dich so zu sehen, wenn sie zur Tür hereinspaziert kommt.« Sie leerte den Highball auf die breiten Holzplanken des Balkons, zog Alex aus dem Stuhl und schleifte ihn ins Schlafzimmer vor den Spiegel, der über seiner Kommode hing. Sie blieb hinter ihm stehen, während er seine blutunterlaufenen Augen und die fahle Haut musterte; den säuerlichen Gestank nach Bourbon und Selbstmitleid einatmete, der seine Kleider durchtränkte. »Alex«, erklärte Ophelia, packte seine Schultern und zog sie zurück, »heute ist dein Glückstag.«
Will saß in einer dunklen Ecke in Joseph Stands In Suns Hütte und fragte sich, wo ein siebenundachtzigjähriger Medizinmann so spät in der Nacht wohl stecken mochte. Er war schon über eine Stunde hier; er wußte nicht recht, warum, aber er wollte mit dem Alten reden, und er wußte, daß es bald geschehen mußte.
An den Wänden hingen wunderschön bestickte Kunstgegenstände und ein langer Hirschlederstreifen mit einem Gemälde, auf dem Sioux-Jäger ein paar Chippewa töteten. Bündel von getrocknetem Tabak und Salbei hinten an den Türangeln. Über einen Adirondack-Schaukelstuhl war eine Sternendecke gebreitet, die Joseph bei Heilungszeremonien brauchte.
In diesem Stuhl saß Will, mit der großen, gewundenen Flöte in der Hand, die Joseph geschnitzt hatte, als Will noch gar nicht geboren war. Es war eine knorrige Zedernröhre, groß und dick und mit dem Bild eines Pferdes bemalt. Mit dieser Flöte konnte ein junger Mann Macht über eine junge Frau gewinnen; Will konnte sich noch an Josephs Erklärung erinnern, wie er damals seine Frau verführt hatte. »Ich habe die Musik geträumt«, hatte Joseph gesagt, »die aus ihrer Seele kam. Und als sie diese Musik hörte, schlich sie aus der Hütte ihrer Eltern und folgte der Melodie, bis sie merkte, daß sie nur mir gefolgt war.«
Will strich mit den Fingern über die Luftlöcher in der Flöte, das Mundstück. Er setzte sie an die Lippen und blies hinein. Er produzierte einen Laut wie eine Kuh, die gemolken werden mußte. Dann schaukelte er in seinem Stuhl, schlug sich mit der Flöte gegen das Handgelenk und beobachtete, wie sich der Mond durch die Ritzen in Josephs Haustür stahl.
Ihm fiel ein Traum ein, der mit Donner begann. Er war mitten in einem Sturm, der Regen peitschte auf
Weitere Kostenlose Bücher