Auf den zweiten Blick
Telefon und wählte die Auskunft in Maine an. Schließlich ließ er einen Anruf zu Benjamin Barrett durchstellen.
»Hallo?«
Alex schluckte. »Mr. Barrett?«
»Mhm?«
»Mein Name ist Alex Rivers. Ich bin Cassies Mann.« Er hörte, wie am anderen Ende tief Luft geholt wurde, dann herrschte Schweigen. Alex beschloß, es zu seinem Vorteil zu nutzen. »Ich habe Ihr Interview gesehen, und ich … also ich wollte mich dafür entschuldigen, daß ich Sie vor ein paar Monaten als Ausrede mißbraucht habe.«
»Sie wissen nicht, wo meine Tochter steckt, oder?«
Dieses Zurschaustellen väterlicher Gefühle ließ Wut in Alex aufkeimen. In den drei Jahren, die er mit Cassie verheiratet war, hatte sie der Mann weder besucht noch sie nach Maine eingeladen oder auch nur angerufen. »Nein«, antwortete er scheinbar ruhig. »Aber ich versuche, sie zu finden.« Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. »Sie können sich gar nicht vorstellen, wie sehr ich es versuche.«
»Ich verstehe bloß nicht«, sagte Cassie, während sie auf die Klatschspalte starrte, die Will ihr mitgebracht hatte, »warum mein Vater lügen und behaupten sollte, daß er mich gesehen hat. Ich meine, wenn Alex so etwas behauptet, ergibt das Sinn, weil die Leute nach mir fragen werden, aber mein Vater hat doch gar nichts zu verlieren.«
»Außer dir«, wandte Will ein. »Du kannst dir nicht vorstellen, was für eine Schlammschlacht da inzwischen tobt; was man Alex alles unterstellt: Vertuschung; Mord. Sogar du – in einer Zeitschrift stand, du seist mit einem europäischen Prinzen durchgebrannt und mit ihm in Afrika untergetaucht oder so.«
Cassie lachte und strich sich mit der Hand über den dicken Bauch. »Na klar.«
Will sagte nicht, was er ihr am liebsten gesagt hätte: daß sie schön war, selbst so unförmig und mit Alex Rivers’ Kind im Bauch. »Ich könnte mir vorstellen, daß Alex deinen Vater dafür bezahlt hat«, meinte er.
Cassie schüttelte sofort den Kopf. »Das würde er nicht tun.« Ihr Gesicht hellte sich auf. »Wahrscheinlich hat er gedacht, ich würde erfahren, was in den Zeitungen über mich steht. Und weil er nicht will, daß mich das verletzt, hat er mit meinem Vater telefoniert, und mein Vater hat meinetwegen widerrufen, was immer er zuvor gesagt haben mag.« Sie strahlte Will an. »Siehst du?«
Er sah gar nichts, aber das konnte er Cassie einfach nicht begreiflich machen. »Nur komisch, daß bei all den Geschichten, die über euch in Hollywood herumschwirren, noch niemand auf die Wahrheit gekommen ist.«
Cassie begann, einen Kiesel aus der Erde zu graben. »Weil niemand sie glauben will«, sagte sie.
Sie saßen vor einer Schwitzhütte, in der eine Sioux-Hochzeit stattfand. Will war inzwischen seit einer Woche zurück; den Mietvertrag in L. A. hatte er gekündigt. Er hatte Cassie erzählt, daß er nicht vorhatte, auf Pine Ridge zu bleiben, daß er aber auch nicht nach L. A. zurückgehen würde. Er wollte warten, bis das Baby geboren war, und wenn Cassie dann ging, würde er ebenfalls gehen.
Nur manchmal erlaubte er sich zu träumen, daß Cassie mit ihm kommen würde.
Er war gerade rechtzeitig zur Hochzeit seines alten, einst verratenen Freundes Horace zurückgekommen. Sie hatten längst wieder Frieden geschlossen, aber es erstaunte Will, daß Horace das Reservat nie verlassen hatte. Im Gegenteil, seine zukünftige Frau war eine Vollblut-Sioux.
Horace hatte Cassie im Futter- und Getreideladen kennengelernt, den er inzwischen leitete. Sie hatte Futter für Wheezer gekauft und Horace gebeten, den Sack zum Pick-up zu tragen, wo Wheezer auf der Ladefläche herumsprang. »Ich kenne den Hund«, hatte er gesagt, und so hatten sie entdeckt, daß sie beide Will kannten.
Horace und Glenda saßen jetzt gemeinsam mit Joseph Stands In Sun, dem Medizinmann, in der Schwitzhütte. Niemand außer dem Trauzeugen war dabei – die Gäste würden später zu der offiziellen Feier kommen -, aber Cassie und Will waren von Horace ausdrücklich eingeladen worden. Will sollte das Feuer auf dem Visionshügel in Gang halten, damit die Steine bereit waren, wenn Joseph sie durch die Leinwandklappen der Hütte schob.
»Ich glaube, sie kommen raus«, flüsterte Cassie. Sie gestand sich das nur widerwillig ein, aber sie war bezaubert. Noch nie war sie einem Lakota-Ritual so nahe gewesen. Die Bioanthropologin in ihr mißbilligte ihr Interesse; die Kulturanthropologin tief in ihr flüsterte ihr zu, sich doch Notizen zu machen; aber die Frau in ihr hatte
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