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Auf den zweiten Blick

Auf den zweiten Blick

Titel: Auf den zweiten Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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hier?« fragte Anne auf englisch, als sie aufwachte.
    »Das gleiche könnte ich dich fragen«, antwortete Dorothea auf lakota.
    Anne richtete sich auf. Ihr war bewußt, daß Ich warte auf Zack nicht die Antwort auf die Frage war, die Dorothea ihr eigentlich gestellt hatte. »Ich liebe ihn ebensosehr wie du«, sagte sie leise.
    »Das«, meinte Dorothea, »könnte genau das Problem sein.«
    Sie stand auf, um ins Haus zurückzugehen, aber Annes Stimme hielt sie zurück. »Ich möchte, daß du zu unserer Hochzeit kommst«, rief Anne ihr nach, auf lakota.
    Sofort wechselte Dorothea ins Englische. »Ich werde keinen Fuß in eine Kirche der Weißen setzen.«
    »Trotzdem«, meinte Anne fast gleichgültig, »werden wir uns dort sehen.«
    Dorothea wirbelte herum. »Und woher willst du das wissen?« Anne lächelte. »Weil nichts dich davon abhalten könnte zu kommen.«
    Am Tag der Hochzeit bettelte Cyrus Dorothea an, ihre Entscheidung noch einmal zu überdenken, und sei es nur Zack zuliebe, aber Dorothea blieb in ihrem Hauskleid auf dem durchgesessenen braunen Sofa sitzen. Kaum war Cyrus jedoch aus dem Haus, zog sie sich an, marschierte zur nächsten Straße und trampte in die Stadt. Sie kam zur Kirche, blieb aber draußen, wie sie es gesagt hatte, und schielte nur durch einen Spalt in der behelfsmäßigen Holzwand. Der Geistliche sprach schon den Segen, der Schaden war schon angerichtet. Leise grummelnd beobachtete Dorothea, wie Zacharys dunkle Hand sanft die seiner frischgebackenen Frau drückte.
    Als Dorothea aufsah, blickte Anne weder überglücklich zu Zack auf, noch achtete sie auf den Geistlichen. Sie hatte sich halb umgedreht und schaute geradewegs durch den Spalt auf Dorothea. Sie zwinkerte.
    Dorothea war rückwärts auf die staubige Straße getaumelt, und dann hatte sie laut aufgelacht. Es war das erste von vielen Malen, daß ihre Schwiegertochter sie überraschen sollte. Und das erste von vielen Malen, daß Dorothea sich eingestanden hatte, wie gern sie Anne hatte, wie sehr sie sie respektierte und wie sehr sie sie - jetzt, wo sie nicht mehr da war - vermißte.
    »Du weißt, daß Zack nach dem Unfall deinetwegen losgelassen hat«, sagte Dorothea laut. »Er hätte ohne dich nicht leben können.« Sie wußte, daß es bei ihr und Cyrus nicht anders sein würde - sobald einer von ihnen in die Geisterwelt eingegangen wäre, würde der andere auch bald sterben, damit sie wieder zusammen wären. Dorothea hatte viele Jahre gebraucht, um das zu begreifen, aber jetzt war sie fest davon überzeugt: Die Liebe war so. Sie war nicht einfach schwarz oder weiß. Sie verlief immer wieder zu eigenartigen, weichen Grautönen.
    Cassie saß neben Cyrus auf einem niedrigen Klappliegestuhl im Schatten und wartete darauf, daß der Sonnentanz begann. Die vier Bänder an der Spitze des heiligen Pfahles flatterten im trockenen Wind: weiß, gelb, rot und schwarz, wie die vier menschlichen Rassen. Ein Adler kreiste gemächlich über dem Platz und löste damit lauten Jubel aus. »Gute Medizin«, flüsterte Cyrus Cassie zu.
    Es war der letzte Tag des Powwow, und Cassie war bezaubert. Sie war mit Dorothea zwischen den schwer beladenen Ladentischen herumgeschlendert und hatte ein breites, gehämmertes Armband für sich selbst und eine buntgewebte Krabbeldecke für ihr ungeborenes Kind ausgesucht. Sie hatte einen Blick in die Leinwandtipis geworfen, die weiter entfernt lebende Familien hier aufgebaut hatten, und über die Kombination von Adlerfeder-Kopfschmuck und Levi’s Jeans gestaunt, die Seite an Seite auf Drahtkleiderbügeln hingen.
    Heute war der letzte Tag des Sonnentanzes. Der Sonnentanz war der heiligste Tanz der ganzen Feierlichkeiten, der einzige Tanz, der den Teilnehmern Monate der Vorbereitung und des Trainings abverlangte. Cyrus hatte ihr nicht viel darüber erzählt, hatte nur gesagt, daß man mit dieser Zeremonie der Sonne huldige, daß es ein Ritual des Wachstums und der Erneuerung sei. Zu Cassies großer Überraschung und Freude war Will während der vergangenen drei Tage unter den Tänzern gewesen. Es gefiel ihr, ihn inmitten der anderen zu sehen, genauso gekleidet wie sie und um den Pfahl in der Mitte tanzend und stampfend, wie seine Vorfahren es getan hatten. »Ich weiß nicht, was dich dazu getrieben hat«, hatte sie ihm nach dem ersten Tag des Tanzes erklärt, »aber du bist ein wunderbarer Indianer, wenn du dir Mühe gibst.« Und Will hatte sie angegrinst, fast als würde es ihn stolz machen, sich durch ihre Augen zu

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