Auf den zweiten Blick
auf sein eigenes Kind aufgrund des fehlenden Kontakts verblaßt.
Das Baby drängte näher an Cassie heran, an ihre Wärme. Und ihr ging durch den Kopf, daß nur sie allein für es sorgen konnte – daß sie allein ihm jetzt Nahrung und Geborgenheit und Wärme und dann ihre Liebe geben konnte. Ihr würde der Kleine sein erstes Wachsmalkreidenbild bringen, bei dem er den halben Küchentisch mit angemalt hatte. Ihr würde er den aufgeschürften Ellbogen hinhalten und glauben, daß sie die Schmerzen mit einem Kuß wegzaubern konnte. Jeden Morgen würde er die Augen aufschlagen und mit jener sonnigen, kindlichen Sicherheit wissen, daß Cassie für ihn da war.
Er brauchte sie; und darin, begriff Cassie, ähnelte er Alex am meisten.
Aber diesmal würde gebraucht werden nicht gleichzeitig verletzt werden bedeuten. Dies war ihr zweiter Start. Sie und dieses Baby würden gemeinsam aufwachsen.
Will legte seine Fingerspitze in die Hand des Babys und beobachtete, wie sich die kleinen Finger gleich einer Sommerrose schlossen. »Wie soll er denn heißen?«
Die Antwort durchzuckte Cassie augenblicklich, und sie begriff, daß sie den Namen die ganze Zeit über mit sich herumgetragen hatte. Sie mußte an das allererste Mal denken, als sie von jemandem geliebt worden war, der keine Gegenleistung dafür erwartete. Jemand, der ihr so viel Hoffnung mitgegeben hatte, daß sie noch Jahre später die Kraft hatte zu glauben, Alex könne sich ändern, es könne jemanden wie Will geben, ein Kind könne sie für seine ganze Welt halten. »Connor«, sagte sie. »Er heißt Connor.«
Schon nach zwei Wochen war Cassie wieder auf den Beinen und voller Energie. Nachdem sie so viel zusätzliches Gewicht mit sich herumgeschleppt hatte, konnte sie sich einfach nicht an ihren leichten Schritt gewöhnen. Aber sie wußte auch, daß ihre Fröhlichkeit zum Teil auf eine Entscheidung zurückzuführen war, die sie wenige Stunden nach Connors Geburt gefällt hatte. Sie würde nicht abreisen, jedenfalls nicht gleich. In drei Monaten vielleicht, oder sechs, oder noch mehr. Sie redete sich ein, daß Connor erst kräftiger werden sollte, bevor sie die Reise antrat, außerdem drängten die Flying Horses sie in keiner Weise. Im Gegenteil, Cyrus hatte dem Baby ein traditionelles Wiegenbrett zur Geburt geschenkt, und als er es ihr über sein eigenes Bett hinweg reichte, hatte er ihr einfach in die Augen gesehen. »Das wird schön, wenn wir ihn nächstes Jahr mit zum Powwow nehmen.«
Sie würde sich mit Alex in Verbindung setzen, wie sie es versprochen hatte; das war sie ihm schuldig. Aber erst hatte sie den Anruf um eine Woche verschoben, dann ging Wills Pick-up kaputt, und sie konnte nicht in den Ort. So saß sie, glücklich und frei von jeder Verpflichtung, mit Dorothea auf der Veranda und enthülste Erbsen.
Connor lag in seinem Wiegenbrett festgezurrt und hellwach. Die meiste Zeit schlief er, deshalb war Cassie überrascht - sie hatte ihn eben gestillt, und er war immer noch munter und blickte mit seinen hellen Augen aufmerksam in die Landschaft.
»Heute kein Mittagsschläfchen?« fragte sie ihn. Sie steckte sich eine Erbse in den Mund.
»Du«, schalt Dorothea. »Paß auf, sonst bleibt nicht genug für heute abend.«
Cassie stellte ihre Schüssel beiseite und streckte sich, lehnte sich zurück gegen die groben Kiefernbretter und starrte in die Sonne. Sie konnte sie inzwischen nicht mehr ansehen, ohne an Will zu denken und an die rosafarbenen, zackigen Narben, die sich immer noch wie Sorgenfalten über seine Brust zogen.
Connor begann zu weinen, aber noch bevor Cassie sich aufsetzen konnte, hatte Dorothea die Hand auf den Babymund gelegt. Erstaunt riß Connor die Augen auf und verstummte.
Dorothea nahm die Hand weg und sah zu Cassie auf, die sie wütend anfunkelte. »Was zum Teufel soll das denn?« wollte Cassie wissen.
Es war merkwürdig, sich so selbstgerecht für jemand anderen einzusetzen, vor allem, wo die Mutterschaft immer noch so neu war - wie ein hübsches Partykleid, das man ab und zu aus dem Schrank nimmt und anzieht, das man sich aber nicht den ganzen Tag zu tragen traut. »Er hat geweint«, antwortete Dorothea, als würde das alles erklären.
»Ja, das hat er«, entgegnete Cassie. »Das tun Babys nun mal.«
»Lakota-Babys nicht. Das bringen wir ihnen schnell bei.«
Cassie dachte an all die archaischen Familienregeln, die ihr in der Kulturanthropologie untergekommen waren, den viktorianischen Grundsatz eingeschlossen, daß Kinder zu sehen,
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