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Auf den zweiten Blick

Auf den zweiten Blick

Titel: Auf den zweiten Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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zu sehen bekam. Es fiel mir schwer, den Mann, der im Smoking an der Olduvai-Schlucht auftauchte, mit jenem Mann in Einklang zu bringen, der jetzt vor mir hockte und ein Kochgestell über einem Gaskocher aufstellte. »Du bist ein Mann voller Widersprüche«, erklärte ich.
    »Gut«, murmelte Alex. Er stellte sich hinter mich und fuhr mit den Fingern über meine Rippen. »Dann wirst du meiner nicht so schnell überdrüssig.«
    Bei dem Gedanken mußte ich lächeln. Als ich mich umdrehte, um die restlichen Sachen aus dem Jeep zu holen, drückte mich Alex sanft zu Boden. »Ruh dich aus, pichouette«, sagte er. »Ich mache das allein.«
    Alex nannte mich oft pichouette. Ich wußte nicht, was das Wort bedeutete, aber ich hörte es gern, weil es wie eine Folge glatter Kiesel von seinen Lippen rollte. Im Bett redete er manchmal Cajun, den altertümlichen französischen Dialekt, der in den Bayous gesprochen wurde, und auch das gefiel mir. Zum einen bedeutete das, daß er sich vergaß, weil er nie französisch sprach, wenn er nicht ganz entspannt war. Und ich mochte den Rhythmus und den süßen Klang der Sprache. Ich lauschte dem Flüstern an meinem Hals und stellte mir vor, daß er mir erklärte, wie zart meine Haut, wie schön meine Augen seien, und daß er mich nie gehen lassen würde.
    Als Alex das Lager aufgebaut hatte, tätschelte ich den Boden neben mir. Aber statt sich zu mir zu setzen, kramte er in einem Rucksack und holte eine dreiteilige Angel heraus, die er zusammenbaute und mit einer Leine und einem Köder versah. Eine halbe Stunde schaute ich ihm zu, wie er knietief im Wasser stand, die Angel einholte und immer wieder auswarf. Die Neonleine zischte wie eine Rakete auf ihrer Flugbahn durch die Luft. »Unglaublich«, meinte ich. »Du scheinst dich hier so wohlzufühlen. Wie hältst du es überhaupt in Los Angeles aus?«
    Alex lachte. »Kaum, chere«, sagte er. »Aber dort bin ich auch nur, wenn es sich nicht vermeiden läßt. Die Ranch in Colorado bietet mir dreißig paradiesische Hektar, auf denen ich fischen, reiten und tun und lassen kann, was ich will. Gott, ich könnte sogar nackt herumlaufen, wenn ich wollte, und auf keine Menschenseele treffen.« Er fluchte und warf die Angel auf den Boden. »Mit diesen Dingern kenne ich mich einfach nicht aus.« Er drehte sich zu mir um, und auf seinem Gesicht breitete sich langsam ein Lächeln aus. »Mit den Händen bin ich viel besser.«
    Er kam aus dem Wasser und stakste mit ausgestreckten Fingern auf mich zu, bog aber im letzten Moment ab und verschwand in dem Wäldchen am Seeufer. Als er zurückkam, hielt er einen langen, dünnen Ast und ein scharfes Filiermesser in der Hand. Er ging in die Hocke, legte sich den Ast übers Knie und spitzte ein Ende an. Dann watete er zurück ins Wasser.
    Alex stellte sich vollkommen reglos hin, den Arm mit dem provisorischen Speer hoch erhoben; sein Schatten kräuselte sich auf der Wasseroberfläche. Bevor ich auch nur einmal durchgeatmet hatte, stieß er den Ast ins Wasser und hob ihn mit einem zappelnden Fisch am Ende wieder hoch. Triumphierend drehte er sich zu mir um. »Bist du in Tansania, benimm dich wie ein Tansanier.«
    Ich war fassungslos. »Wie - wo hast du das gelernt?«
    Alex zuckte mit den Achseln. »Alles, was man braucht, sind Geduld und gute Reflexe. Ich kann das übrigens auch ohne Stock.« Er ging von mir weg, so daß ich sein Gesicht nicht sehen konnte, und warf den Fisch in eine Leinentasche. »Man könnte sagen, mein Vater hat mir das beigebracht.«
    Abends aßen wir gebratene Fische, später liebten wir uns und wickelten uns in die Decke, ich mit dem Rücken an Alex’ Brust. Als er eingeschlafen war, drehte ich mich zu ihm um und betrachtete sein Gesicht im Schatten des silbernen Mondes.
    Ein durchdringender Schrei ließ Alex hochfahren, so daß ich rückwärts auf den Boden fiel. Er schüttelte den Schlaf ab und griff nach mir, um sich zu überzeugen, daß mir nichts passiert war. »Es war weit weg«, beruhigte ich ihn. »Es klingt bloß, als sei es gleich nebenan.«
    Alex legte sich wieder hin, aber sein Herz schlug wie ein Preßlufthammer unter meiner Schulter. »Denk gar nicht darüber nach«, beruhigte ich ihn. Ich mußte an meine ersten afrikanischen Nächte im Freien denken. »Hör dem Wind zu. Zähl die Sterne.«
    »Weißt du eigentlich«, sagte Alex leise, »wie sehr ich Zelten hasse?«
    Ich setzte mich auf und sah ihn mit großen Augen an. »Warum sind wir dann hier?«
    Alex verschränkte die Arme und

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