Auf den zweiten Blick
Zimmertür. Es gab keine Schlösser, dazu war die Lodge zu alt. Ich sah, wie die Tür aufschwang, und stand vom Fensterbrett auf, bemerkenswert ruhig in Anbetracht der Tatsache, daß ich gleich einem Fremden gegenüberstehen würde.
Wahrscheinlich sagte mir mein Instinkt, daß es Alex war. Ich beobachtete, wie er ins Zimmer kam und die Tür hinter sich schloß. Es war dunkel, aber meine Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt, deshalb konnte ich deutlich die Schatten unter seinen Augen, die zerknitterten Kleider, den Zweitagebart erkennen. Bei dem Gedanken, daß es ihm vielleicht genauso schlecht gegangen war wie mir, begann mein Blut zu singen.
Ich bemerkte das Glas in seiner Hand erst, als er es auf den Schreibtisch gegenüber dem Bett stellte. »Ich hab’ dir was mitgebracht«, sagte er schlicht.
Es war ein ganz normales Marmeladeglas - wie jene, in die Connors Mutter jeden Sommer ihr selbstgemachtes Traubengelee gefüllt hatte. Es war halb voll mit einer klaren Flüssigkeit, die wie ganz gewöhnliches Wasser aussah.
Alex machte einen Schritt vor und berührte das Glas. »Es ist nicht mehr kalt«, sagte er. Er setzte sich auf die Bettkante. »Ich bin nach New York geflogen und von dort mit einem kleinen Hüpfer nach Bangor, aber in Maine gibt es keine Berge, auf denen im September Schnee liegt. Und ich konnte doch nicht mit leeren Händen zurückkommen, deshalb bin ich an den Ort geflogen, an dem ich bestimmt welchen finden konnte - ich kenne Leute, die im August in den kanadischen Rockies beim Skifahren waren.« Er stützte die Ellbogen auf die Knie und ließ das Gesicht in den Händen ruhen.
»Alex«, fragte ich leise, »was genau hast du mir da mitgebracht?«
Er sah zu mir auf. »Schnee«, sagte er. »Ich habe dir deinen Schnee mitgebracht.«
Ich nahm das Glas und drehte es in den Händen, sah ihn auf einem Gletscher stehen und eine Handvoll Schnee in ein Marmeladeglas stopfen, um ihn mir zu bringen, über viele tausend Meilen hinweg. Ich spürte, wie ich von innen heraus zu lächeln begann. »Du bist um die halbe Welt geflogen, um mir ein Glas Schnee zu bringen?«
»So ungefähr. Ich wußte nicht, wie ich es dir sonst begreiflich machen sollte. Ich wollte nicht - ich habe nicht -« Er hielt inne, atmete tief ein und überdachte, was er sagen wollte. »Jemand wie du ist mir noch nie begegnet, aber ich hatte keine Gelegenheit, dir das zu erklären, bevor wir diese verdammte Liebesszene drehten. Ich wollte bestimmt nicht einfach so abhauen, aber du hättest mir sowieso nicht zugehört. Deshalb dachte ich mir, Taten sagen mehr als Worte.«
Ich setzte mich neben ihn auf die Bettkante, das Glas mit Wasser immer noch in der Hand. Ich beugte mich zu ihm und küßte ihn. Ich hatte keine Ahnung, was ich tun sollte, also faltete ich einfach die Hände im Schoß. »Danke.«
Alex sah mich an und lächelte. »Das ist nur das halbe Geschenk«, sagte er. »Ich wollte dir auch etwas holen, was nicht schmilzt.« Er griff in seine Tasche und holte ein Geschenk heraus, das ich im Zwielicht nicht richtig erkennen konnte. Aber in diesem Augenblick stieg die Sonne über den Horizont und fing in ihrer weichen, rosa Glut das Funkeln eines einzelnen Diamanten.
Alex legte die Hand um meinen Hals und streichelte mir den Nacken. Er zog mich nach vorne, bis meine Stirn die seine berührte, über diesem Brillantring, der heller strahlte als seine Augen. Ich hörte seine Worte, suchte nach einem Hinweis auf meine Zukunft, aber als er sprach, klang er haargenau so, als würde er sich an einen Rettungsring klammern. »Mein Gott«, flüsterte er heiser. »Bitte, sag ja.«
13
Statt einer Abschlußfeier gab es eine Hochzeit. Nach dreizehn Wochen Dreharbeiten stellte sich Alex auf die Plattform, die für eine kleine Kulisse aufgebaut worden war, und verkündete der Crew das Geheimnis, das wir wochenlang gehütet hatten. Selbst Bernie, der Regisseur, war baff. Er durchbrach die verblüffte Stille, indem er auf die Plattform sprang und Alex auf den Rücken schlug. »Meine Fresse«, grölte er grinsend, »wieso hast du mir das nicht verraten?« Und Alex hatte gelacht. »Weil du, Bernie«, sagte er, »der erste gewesen wärst, der die Zeitungsfritzen angerufen hätte.«
Jeder wußte, daß wir zusammen waren; das war deutlich daran zu erkennen, wie Alex mit mir umging. Aber ich glaube, jeder war überrascht, daß mehr dahintersteckte. Mir drängte sich der Eindruck auf, daß Affären zwischen Schauspielern und anderen
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