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Auf den zweiten Blick

Auf den zweiten Blick

Titel: Auf den zweiten Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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drehte den Kopf und sah, wie Alex ihr zunickte. »Genau dich habe ich gesucht«, bemerkte er, und sofort huschte Jennifer an seine Seite. Er legte ihr die Hand auf den Rücken und schob sie von mir weg. »Tut mir leid«, meinte er grinsend. »Aber wenn du lauschst, ist es keine Überraschung mehr.«
    Ich sah, wie Jennifer aus dem Nichts ein Notizbuch hervorzauberte und einen Stift aus den Tiefen ihres langen, dunklen Haares zog. Hastig notierte sie die Punkte, die Alex ihr außerhalb meiner Hörweite aufzählte. Einmal unterbrach sie ihn mit einer Frage; Alex schaute zu mir herüber und musterte mich von Kopf bis Fuß, um sich dann wieder abzuwenden. Ich versuchte, sie im Blick zu behalten, aber immer wieder drängten sich Leute zwischen uns, schüttelten mir wie wild die Hand und spulten irgendwelche Floskeln ab. Sie hätten genausogut Kisuaheli reden können.
    Schließlich versank Alex in einem Meer sonnengebräunter Gesichter. Ich hatte das Gefühl, gleich in Ohnmacht zu fallen, obwohl mir das in meinem ganzen Leben noch nicht passiert war, doch dann tauchte Alex aus dem Nichts wieder neben mir auf, und mir wurde klar, daß mir gar nichts gefehlt hatte - nur meine andere Hälfte.
    Ein paar Nächte vor der Hochzeit träumte ich, Connor würde in der Dämmerung mitten in der Serengeti auf mich warten und mir vorhalten, daß ich gerade den größten Fehler meines Lebens beging.
    »Es ist nicht so, wie du denkst«, erklärte ich Connor in meinem Traum. »Ich habe mich nicht in ihn verknallt, weil er Schauspieler ist -«
    »Ich weiß«, fiel Connor mir ins Wort. »Das ist es ja gerade. Man könnte den Eindruck haben, du bemerkst gar nicht, was alle Welt weiß, weil du so darauf fixiert bist, ihn als kleines Vögelchen mit gebrochenem Flügel zu sehen, das du gesund pflegen mußt -«
    »Was redest du da?« platzte es aus mir heraus. »Er ist doch kein Sozialfall.« Ich bemühte mich, die Sache aus Connors Blickwinkel zu sehen. Ich versuchte nicht, ihn zu ersetzen, aber es gab so viele Parallelen zwischen unserer Beziehung als Kinder und meiner jetzigen Beziehung zu Alex, daß ich die beiden einfach vergleichen mußte. Genau wie Connor beschützte Alex mich – und er war der einzige, den ich nah genug dafür an mich heranließ. Genau wie Connor konnte Alex meine Sätze vor mir zu Ende bringen. Aber anders als bei Connor, für den ich am Ende doch zu spät gekommen war, war ich rechtzeitig in Alex’ Leben aufgetaucht.
    In meinem Traum zog eine Zebraherde über den Horizont. Ihr Anblick lenkte mich ab, und in diesem Moment beugte sich Connor vor, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. »Du willst immer allen helfen, Cassie, siehst du das nicht? Das kannst du am allerbesten. Du hast dich um deine Mutter gekümmert, um deinen Vater, um mich und um Ophelia. Du sammelst die Probleme deiner Mitmenschen wie andere Leute Briefmarken.«
    An dieser Stelle versuchte ich, aus meinem Traum aufzuwachen. Ich wollte Connor nicht glauben; ich wollte ihm nicht zuhören.
    »Cassie«, sagte Connor, »ein kranker Vogel fliegt entweder eines Tages weg, oder er wird nie gesund. Er bleibt krank, ganz gleich, was du tust.«
    Danach spürte ich, wie ich langsam aufwachte. Ich hielt den Blick auf Connor gerichtet, während er langsam verblaßte. Ich sah ihm in die Augen. »Ich liebe Alex.«
    Connor trat zurück, als habe ich ihm einen Schlag versetzt. Er streckte die Hand nach mir aus, aber wie es oft im Traum geht, bekam er mich nicht zu fassen, und mir wurde klar, daß das schon eine ganze Weile so mit uns ging. »Gott helfe uns«, sagte er.
    Drei Tage vor unserer Hochzeit fuhren Alex und ich an einen der unzähligen kleinen Seen, die dieses Gebiet sprenkelten, um draußen zu übernachten. Wir packten zwei Schlafsäcke, ein Nylonzelt, ein paar Töpfe und Pfannen in den Jeep. Ich fragte Alex gar nicht, woher er die Sachen hatte - ich bekam allmählich mit, daß Alex Blut aus einem Stein melken konnte, wenn er wollte. Er lud die Sachen unter den weiten Armen eines niedrigen, kleinblättrigen Baumes aus und begann mit dem Geschick eines geübten Pfadfinders das Zweimannzelt aufzustellen. Völlig baff setzte ich mich auf den Boden. »Du kannst ein Zelt aufbauen?«
    Alex lächelte mich an. »Du vergißt, daß ich in den Bayous aufgewachsen bin. Ich habe meine Kindheit draußen verbracht.«
    Ich hatte das tatsächlich vergessen. Aber es war auch leicht zu vergessen, wenn die Welt die meiste Zeit nur den geschniegelten, weltmännischen Alex Rivers

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