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Auf den zweiten Blick

Auf den zweiten Blick

Titel: Auf den zweiten Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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zurückgekommen?« fragte ich.
    »Am nächsten Morgen. Sah die Fischgräten und das niedergebrannte Feuer und erklärte, er sei stolz auf mich. Und ich heulte.«
    Ich riß die Augen auf. »Was hat er dann gemacht?«
    Alex lächelte. »Mich um sieben Uhr früh zu Beau geschleift und mir meinen ersten Whisky gekauft«, sagte er. »Von da an ließ er mich immer wieder im Bayou, ungefähr alle zwei Monate, so lange, bis ich ihm am Morgen darauf in die Augen sehen und so tun konnte, als hätte ich jede Minute genossen.« Er atmete tief durch, aber in der Stille hörte ich das Rasseln tief in seiner Kehle. »Und deshalb«, schloß er, »zelte ich nicht gern.«
    »Und deshalb«, ergänzte ich leise, »bist du ein so großartiger Schauspieler geworden.« Ich nahm seine Hände und küßte seine Fingerspitzen. Seine Augen waren fast schwarz vor Schmerz, und ich spürte das leise Zittern - das einzige, was er nicht kontrollieren konnte.
    Meine Wange lag auf seiner feuchten Brust. Ich wußte, was er brauchte. Schließlich verstand ich ihn nur allzugut. Ich wollte etwas sagen, aber auf keinen Fall mitleidig klingen. Deshalb wählte ich meine Worte so, daß Alex das Thema damit abschließen oder sie als Rettungsring benutzen konnte. »Wie hast du das nur geschafft?« flüsterte ich.
    Alex küßte mich auf den Kopf, sanft und zärtlich. Ich begriff, daß er nicht mehr darüber sprechen wollte, und als sei damit alles erledigt, wich die Spannung aus Alex’ Schultern. Ich wartete ab, ob er ein anderes Thema aufbringen würde, unsere Hochzeit vielleicht, oder ob er mich einfach an sich drücken und auf den Schlaf warten würde.
    Alex’ Stimme riß mich aus meinen Gedanken. »Das war nicht schwer«, sagte er leise. Seine Hände strichen über meine Schultern bis ans Schlüsselbein. Es waren die Hände eines Liebenden, so als würde er gar nicht merken, in welchem Widerspruch diese Geste zu seinen Worten stand. »Ich bin die ganze Nacht aufgeblieben«, sagte er, »und habe mir vorgestellt, wie ich meinen Vater erwürge.«
    Zum zweiten Mal an diesem Abend war Alex in tiefen Schlaf gesunken, aber diesmal quälten ihn Alpträume. Er schlug um sich, traf mich dabei auf den Magen und weckte mich. Er redete französisch, aber so undeutlich, daß ich ihn nicht verstanden hätte, selbst wenn ich die Sprache gesprochen hätte. Ich setzte mich auf, strich ihm das Haar aus der Stirn, spürte das Fieber unter der Haut.
    »Alex«, flüsterte ich. Ich hielt es für das beste, ihn wachzuschütteln. »Alex.«
    Er schoß hoch, rollte sich herum und preßte mich zu Boden, ehe ich auch nur begriff, wie mir geschah. Mit blassen, glänzenden Augen starrte er durch mich hindurch. Ein Arm lag quer über meiner Schulter und klemmte mich fest. Die andere Hand preßte meinen Hals auf den Boden, während sich die Finger in meinen Kiefer bohrten.
    Ich versuchte zu schreien, aber Alex’ Handfläche drückte mir die Luftröhre zu. Panisch schlug und trat ich um mich. Er weiß nicht, was er tut. Er weiß nicht, wer ich bin.
    Seine Finger packten immer fester zu, bis mir die Tränen in die Augen schössen. Schließlich gelang es mir, mich freizustrampeln und ihm das Knie in den Unterleib zu rammen. Alex heulte auf und rollte von mir herunter, während ich auf dem Rücken liegenblieb und wartete, bis die Welt langsam wieder Konturen bekam und gleißende Luft in meine Lungen strömte.
    Alex setzte sich auf, beide Hände vor seinem Geschlecht. Ich wollte etwas sagen, brachte aber kein Wort heraus, deshalb rieb ich mir nur den Hals. Ich versuchte nicht daran zu denken, was geschehen wäre, wenn ich mein Bein nicht freibekommen hätte.
    »Was ist denn los?« fragte er, immer noch ein bißchen benommen.
    Ich stützte mich auf die Ellbogen. »Du hattest einen Alptraum «, krächzte ich. Ich schluckte, obwohl es weh tat.
    Vielleicht war es das Licht, das in diesem Moment auf mich fiel, aber plötzlich schien Alex zur Besinnung zu kommen. Er streckte einen Finger nach meinem Hals aus und berührte die fünf roten Male, die bis zum nächsten Morgen blau anlaufen würden. »O Gott«, hauchte er und zog mich in seine Arme. »O Cassie, mein Gott.«
    Jetzt begann ich zu weinen. »Du hast es doch nicht gewollt«, schluchzte ich und spürte zugleich, wie Alex den Kopf schüttelte. »Du hast doch nicht gewußt, daß ich es bin.«
    Alex hielt mich von sich weg, so daß ich die tiefe Scham sehen konnte, die sich in sein Gesicht eingekerbt hatte. »Es tut mir so leid«, sagte er. Ohne

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