Auf den zweiten Blick
ein weiteres Wort stand er auf und ging auf die andere Seite des Lagerfeuers, wo er sich mit dem Rücken zu mir hinlegte.
Ich sah ihm nach, und nach nur wenigen Sekunden hob ich die Decke auf und legte mich neben ihn. Er brauchte mich, gleichgültig, ob er das verstand oder nicht. Das allerschlimmste für ihn wäre, jetzt allein zu schlafen.
»Nein«, sagte Alex und sah mich an. Seine Augen offenbarten noch mehr Angst und Zorn als vorhin, als er mich an der Kehle gepackt hatte, aber mir war klar, daß diesmal beides gegen ihn selbst gerichtet war. »Was ist, wenn ich es noch mal tue?«
»Das wirst du nicht«, widersprach ich und glaubte jedes Wort.
Alex drehte sich um, küßte mich und streichelte dabei die Flecken auf meinem Kinn und meinem Hals, als könnten seine Finger den Schmerz, den sie zugefügt hatten, auch wieder vergehen lassen. Er sah mich an, bis er die Vergebung annahm, die aus meinen Augen sprach. »Cassandra Barrett«, flüsterte er, »du bist wirklich einzigartig.«
Mein Hochzeitskleid kam von Bianchi in Boston; meine Seidenslipper aus einem Brautmodengeschäft in New York City; für meinen Hochzeitsstrauß hatte man frische weiße Rosen und Stephanotis aus Frankreich einfliegen lassen. Die Kisten und Kartons reisten erst mit dem Zug, dann auf dem Landrover quer durch Afrika, begleitet von einer kleinen, dunklen Schneiderin, die Mistreß Szabo genannt werden wollte und die letzte Änderungen vornehmen würde, bis das Ensemble aussah, als habe man die Fäden eigens für mich gesponnen. Sie kniete zu meinen Füßen, während ich das Muster aus Staubperlen an meiner Taille befingerte und Jennifer zuschaute, die zum dreißigsten Mal an diesem Morgen die Liste der Vorbereitungen durchging.
»Miß Barrett«, kläffte die Schneiderin. »Hören Sie auf zu zappeln.«
Ich stand stramm, was mir in dem steifen, weißen Satin und den Bergen von Unterröcken nicht schwerfiel. Ich fragte mich, wie das alles auf der Fahrt im Jeep von der Lodge zu der kleinen Holzkapelle so jungfräulich weiß bleiben sollte. Ich fragte mich, wie ich es schaffen sollte, mir nicht den Schleier abzureißen und ihn in den Wind zu werfen; mir nicht die Schuhe von den Füßen zu treten, die Röcke zu raffen und durch den heißen, vertrauten Sand davonzurennen.
»So«, verkündete Mistreß Szabo. Mit knirschenden Knien richtete sie sich auf und faltete die Hände vor dem Bauch. »Si hella«, murmelte sie. Sie trippelte zu dem schmalen Bett und scheuchte Jennifer zur Tür. »Raus, raus«, befahl sie. »Die Braut braucht eine Minute für sich.«
Jennifer warf einen Blick auf die Uhr. »Wir sind dem Zeitplan voraus«, erklärte sie. »Sie können auch fünf haben.«
Eigentlich wollte ich nicht allein sein, aber ich wollte auch niemanden um mich haben. So stand ich vor dem Drehspiegel mit dem langen Sprung in der Mitte und betrachtete mein Gesicht, dessen beide Hälften irgendwie nicht zusammenpassen wollten.
Abgesehen von Alex’ Verlobungsring trug ich keinen Schmuck. Aber um meinen Hals zog sich der Beweis für Alex’ Alptraum, eine Kette amethystfarbener Flecken. Ich hatte mir vom Maskenbildner Theaterschminke ausgeborgt und aufgetragen, bevor Mistreß Szabo aufgetaucht war, aber deshalb wußte ich trotzdem, was sich darunter verbarg.
Ich schloß die Augen und bemühte mich, an Connor zu denken. Früher, vor gar nicht allzulanger Zeit, hatte ich geglaubt, daß ich ihn geheiratet hätte, wenn er nicht gestorben wäre. Und wenn er jetzt dagewesen wäre - und nicht der Bräutigam gewesen wäre -, hätte er mir geraten, Alex noch hinzuhalten. Mir noch etwas Zeit zu lassen, bevor ich eine Entscheidung traf.
Aber ich wollte nicht noch etwas Zeit. Ich wollte Alex.
Und plötzlich begriff ich, warum ich in letzter Zeit nicht mehr so oft von Connor träumte; warum es mir immer schwerer fiel, sein Gesicht vor mir zu sehen. Er war dabei, mich zu verlassen. Ich hatte eine Entscheidung gefällt; Connor hatte sie akzeptiert. Er würde nicht länger des Teufels Advokaten spielen; er würde sich nicht länger in meinen Schlaf schleichen; er würde nicht länger mein Beschützer sein.
Ich setzte mich aufs Bett, fuhr mit der Fingerspitze unter den Augen entlang, um die Mascara dort wegzuwischen, und versuchte, wieder ruhig zu atmen. Ich spürte denselben Schmerz in der Brust wie damals, als Connor Stück für Stück in meinen Armen gestorben war. Einen Augenblick lang dachte ich daran, wie wir Seite an Seite im Sonnenuntergang gesessen und
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