Auf der anderen Seite ist das Gras viel gruener - Roman
Lenzen, da bin ich wieder.« Ob er immer so gut gelaunt war, wie er klang? »Haben Sie mal in Ihren Kalender geschaut, ob Sie am Wochenende Zeit haben?«
Noch einmal tief Luft holen. »Ich würde liebend gern einen Kaffee mit Ihnen trinken gehen, gleichzeitig gibt es leider nicht eine einzige freie Minute. Das ganze Wochenende ist schrecklich vollgepackt mit Terminen.«
Es entstand eine kurze Pause, dann hörte ich ihn lachen.
»Was ist denn daran so komisch?«, fragte ich. Ich sah mich Hilfe suchend um, aber Marlene und Linda waren wider Erwarten in der Küche geblieben.
»Ich glaube, wir haben das gleiche Seminar besucht: ›Wie man Nein sagt, ohne jemanden vor den Kopf zu stoßen‹.« Er lachte immer noch.
»Ähm …« So ein Mist.
»Großartig, wirklich. Ich benutze das auch dreimal am Tag. ›Ich würde Ihnen liebend gern die Gehaltserhöhung bewilligen, gleichzeitig haben wir da von Konzernseite keinerlei Spielraum.‹ Das böse Wort ›aber‹ kommt mir nicht mehr über die Lippen.« Er beruhigte sich etwas. »Sie würden also liebend gern einen Kaffee mit mir trinken?«
»So ist es«, sagte ich. Sie haben ja keine Ahnung, wie gern . »Leider ist das Wochenende wirklich zugepackt mit schrecklichen Terminen.« Ich holte noch einmal tief Luft. Erwachsenes Verhalten war nicht wirklich einfach. Das nächste Wort wollte erst nicht so recht über meine Lippen rollen, aber ich schubste es unbarmherzig hinaus. »W… wir haben allein zwei Geburtstagseinladungen, die eine davon so schrecklich, dass ich am nächsten Morgen garantiert verkatert sein werde, allerdings muss ich da eine Torte für den anderen Geburtstag backen, außerdem wollten wir eine Couch kaufen, am Sonntag sind wir zum Mittagessen bei meinen Schw…« – auch das Wort schien festzuklemmen – »Schwiegereltern und, ach ja, mit dem Treppenhausputzen sind wir auch noch dran.«
Wieder entstand eine winzige Pause. »Das hört sich wirklich nach einem sehr ausgefüllten Wochenende an«, sagte er dann, und obwohl ich genau hinhörte, konnte ich keine Veränderung in seinem Tonfall feststellen. Er klang immer noch amüsiert und freundlich. »Wirklich schade. Aber vielleicht klappt es ja, wenn ich das nächste Mal in Köln bin.«
Linda hatte recht: Nur Syphilis hätte noch abschreckender gewirkt.
Im Hintergrund begann wieder ein Telefon zu klingeln. »Oder Sie sagen Bescheid, wenn es Sie noch einmal nach Berlin verschlägt, ja?«
Okay, das war’s dann. Auch das war damals Thema in diesem Seminar gewesen. Wie man jemanden ganz verbindlich auf später vertröstet – für immer …
»Das mache ich auf jeden Fall«, sagte ich, zwischen Erleichterung und Enttäuschung schwankend. »Dann … Wiedersehen!«
»Wiedersehen!«
Mit einem tiefen Seufzer ließ ich das Handy sinken. Marlene und Linda streckten ihre Köpfe aus der Küche. Es war klar, dass sie jedes Wort mitgehört hatten.
Linda nickte anerkennend. »Gut gemacht, Kati.«
»Ja, sehr gut, Kati. Bloß jedem harmlosen Vergnügen aus dem Weg gehen, wo kämen wir sonst hin?«, sagte Marlene.
Ich kam mir auf einmal saublöd vor.
»Weißt du was?«, rief Linda und strahlte mich an. »Genau das war die Lektion, die das Universum dir erteilen wollte. Dass es manchmal Versuchungen gibt, denen man widerstehen muss. Keks?«
»Tadaa!« Das war Bengt, der in einem frischen Hemd durch die Tür geschlittert kam. »Hab ich was verpasst?«
Das Gewissen ist eine Schwiegermutter, deren Besuch nie endet.
Henry Louis Mencken
Spätestens jetzt hätte ich Mathias Lenzen einfach vergessen sollen, aber genau das Gegenteil war der Fall. Der Mann wollte mir nicht mehr aus dem Kopf gehen. Und gleichzeitig machten sich deswegen sehr unschöne Schuldgefühle in mir breit. Vielleicht hätte ich mich doch besser mit ihm getroffen, um dann erleichtert festzustellen, dass er überhaupt nicht so toll war, wie ich dachte. Aber selbst wenn doch: Man konnte ja wohl einen Kaffee mit einem tollen Mann trinken, ohne dass man damit sofort eine griechische Tragödie auslöste, oder? Und musste ich ein schlechtes Gewissen haben, wenn ich mich in Gedanken mit einem anderen Mann beschäftigte?
Ich brauchte dringend eine dritte Meinung dazu, also rief ich auf dem Heimweg vom Seminar bei den Jungen Unternehmerinnen (die übrigens so jung gar nicht waren) bei meiner Schwester Eva an. Erstens freute sie sich immer, meine Stimme zu hören (angeblich war ich die Einzige, bei der sie sich traute, auch mal ein bisschen über ihr
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