Auf der anderen Seite ist das Gras viel gruener - Roman
wieder.«
»Und dann fällt er ganz glücklich über dich her …«
Eva widersprach mir nicht, und da seufzte ich. »Siehst du. So muss das sein. Vielleicht liegt es ja doch an mir. Ich habe schon überlegt, ob ich mir Strapse kaufen soll oder einen Tantra-Kurs buchen oder einen für aphrodisierende Kochkünste …« Ohrenbetäubendes Gebrüll am anderen Ende der Leitung ließ mich stocken. Es hörte sich an, als habe Henri sich in der Schublade die Hand eingequetscht. Mindestens. »Ihr habt die Brotschneidemaschine doch hoffentlich nicht mehr in Betrieb?«
»Kati, ich sag’s ja nur ungern, aber am besten wäre es, du redest mal mit Felix darüber, bevor du Austern kaufst.« Eva musste schreien, um das Kindergebrüll zu übertönen, das sich jetzt noch einmal um ein paar Dezibel steigerte.
»Um Gottes willen, Eva, tu doch was! Er muss sich schrecklich wehgetan haben!«
»Nein, hat er nicht. Er hat nur einen Wutanfall, weil er den runden Deckel nicht auf die eckige Dose kriegt. Ich muss Schluss machen und den Fotoapparat suchen. Henri sieht aus wie Onkel Eberhard, als die Sache mit DEM MEERSCHWEINCHEN passiert ist … Nur der bebende Schnurrbart fehlt.« Das Kreischen nahm jetzt apokalyptische Züge an. Man musste es Eva hoch anrechnen, dass sie Henri noch nicht ein einziges Mal DAS KIND genannt hatte. »Aber ruf wieder an, ja? Du weißt, wir sind vierundzwanzig Stunden täglich zu erreichen. Ich hab dich lieb!«
»Ich dich auch«, sagte ich, aber das hörte Eva nicht mehr.
Gespräche sind wie Reisen zu Schiff. Man entfernt sich vom Festland, ehe man es merkt, und ist schon weit, ehe man merkt, dass man das Ufer verlassen hat.
Nicolas Chamfort
Das Zitronen-Lauch-Hähnchen-Gericht mit Reis, das ich zubereitete, gelang mir nicht ganz so wie im Rezept, was vor allem daran lag, dass ich vergessen hatte, Zitronen einzukaufen. Ich versuchte das auszugleichen, indem ich die doppelte Menge Weißwein verwendete, was nicht mal schlecht schmeckte, aber man wurde schon vom Abschmecken leicht beschwipst. Egal. Wenn die Soße nur lange genug vor sich hinköchelte, würde der Alkohol schon noch verfliegen. Und wie es aussah, würde sie lange vor sich hinköcheln dürfen, denn exakt fünf Minuten vor der verabredeten Zeit rief Felix an und sagte, dass ihm einer seiner Onko-Patienten dazwischengekommen sei und es ein wenig später werden würde. Die Onko-Patienten waren die mit Krebs, und wie hätte ich Felix Vorwürfe machen können, wenn er mich deswegen versetzte? Was? Du findest es wichtiger, mit einem Mann, der nur noch zwei Monate zu leben hat, über seinen Bauchspeicheldrüsenkrebs zu reden, anstatt mit mir ein besoffenes Hähnchen zu essen?
»Kein Problem«, sagte ich weich. »Das Essen braucht sowieso noch ein Weilchen.«
»Es dauert auch nicht lange«, versicherte Felix. Das sagte er immer am Schluss eines solchen Gespräches, und vermutlich meinte er es auch so, aber ich ertappte mich manchmal bei dem Gedanken, dass angehende Ärzte diesen Satz vorsichtshalber schon vor dem Physikum auswendig lernten.
Ich legte einen Deckel auf den Topf mit dem gekochten Reis, goss noch ein wenig Sahne zur Soße und drehte die Herdplatte auf die niedrigste Temperatur. Die Zeit, bis Felix kam, würde ich für ein Bad nutzen. Vielleicht würde es auch zum Lackieren der Fußnägel reichen. Und für einen weiteren Anruf bei Eva währenddessen. Ich wollte ihr unbedingt noch von der ausgeschlagenen Kaffee-Einladung erzählen und ihre weisen Gedanken dazu hören.
Gerade als ich mich im warmen Wasser niedergelassen hatte und der Badeschaum bis hinauf zu meinem Hals knisterte, klingelte es an der Tür. Ich tauchte noch ein wenig tiefer. Wer immer es war, ich würde nicht aufmachen, nicht jetzt. Und wenn Frau Heidkamp von unten wieder mal Eier brauchte, dann hatte sie jetzt eben Pech. Es klingelte noch einmal. Vielleicht hatte auch jemand im Haus ein Paket für uns angenommen, überlegte ich. Manchmal bestellte Felix irgendwelche Ersatzteile für sein Rennrad, und meine Mama schickte ab und an Carepakete mit Schokolade, Kaffee und gestrickten Socken aus Münster. Aber ich konnte mich trotzdem nicht durchringen, die warme Wanne zu verlassen. Es war einfach zu gemütlich. Mit der Gemütlichkeit war es allerdings vorbei, als ich ein vertrautes Klappern hörte, eben genau das Geräusch, das die Wohnungstür machte, wenn sie ins Schloss fiel.
Ich lauschte erstarrt. Da – eindeutig Schritte im Flur. Und jetzt stellte jemand etwas
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