Auf der anderen Seite ist das Gras viel gruener - Roman
Klamotten mit allerlei Flecken verziert, wann immer es kann. Da kann man eigentlich von Glück sagen, dass die Auswahl an Männern, mit denen man flirten würde, wenn man denn könnte, in diesem Vorort bei minus fünf liegt. Aber warte, ich habe den glatzköpfigen Rewe-Mann vergessen, der mich immer mit Namen begrüßt. Leider ist sein Lächeln merklich kühler geworden, seit Henri die Obstgläschen auf den Boden geschleudert hat. Und dann ist da noch Bernd, in meiner Mutter-Kind-Gruppe, der einem immer tief in die Augen schaut. Ein lebender Beweis dafür, dass sexy Väter und Hausmänner ein urbaner Mythos sind. Ach, und unser Postbote ist leider eine Frau.«
Ich kicherte. »Und – fehlt es dir manchmal?«
»Was mir fehlt, ist Schlaf.« Sie gähnte wieder. »Und eine Taille. Aber ja – wenn du mich so fragst: Es fehlt mir. Und wenn ich du wäre, würde ich jede Gelegenheit zu einem Flirt nutzen, solange du noch kein Kleinkind an dir herumklettern hast und dir vorkommst wie ein Opossum. Im Ernst, es ist der Ehe sogar zuträglich, wenn man ab und zu mal von einem anderen Mann zu spüren bekommt, dass man toll ist. Ich nehme an, das ist der Grund deiner philosophischen Frage, oder?«
»Mmmh!« Manchmal war ihre Weisheit mir ein bisschen unheimlich. Aber ihre Worte waren Balsam für meine Seele. Hätte ich sie doch mal direkt angerufen, anstatt mich von meinem eigenen schlechten Gewissen und Linda so sehr beirren zu lassen. »Aber … was ist denn mit der Büchse der Pandora?«
»Die sollte man natürlich tunlichst geschlossen lassen«, sagte Eva, ohne sich mit Rückfragen aufzuhalten. »Aber kein vernünftiger Ehemann dürfte was dagegen haben, wenn ihm ein anderer Mann ab und an mal ein bisschen Arbeit abnimmt.«
»Arbeit?«, wiederholte ich ungläubig.
»Nicht, was du denkst, Pandora-Schätzchen. Ich meine diese wirklich anstrengende Sache mit dem weiblichen Selbstwertgefühl, für das wir die Männer verantwortlich machen. Es ist Knochenarbeit für einen Mann, seiner Frau zu verstehen zu geben, wie toll er sie findet. Und es wird immer schwieriger, je länger man verheiratet ist. Robert behauptet zwar andauernd, dass er mich liebt und so begehrenswert findet wie am ersten Tag, aber ich glaube ihm kein Wort. Tief in meinem Inneren warte ich nur darauf, dass er mich irgendwann aus Versehen Muhkuh nennt.«
»Das würde Robert niemals tun«, sagte ich.
»Es reicht ja schon, dass ich denke, er könnte es tun. Was ich eigentlich damit sagen will: Ein kleiner Flirt mit einem Fremden hilft deinem Selbstwertgefühl fünfzigmal mehr auf die Sprünge als zehn Komplimente und Liebeserklärungen vom eigenen Mann. Es ist natürlich sehr schade, dass wir so etwas überhaupt nötig haben, aber unsere Generation ist diesbezüglich eben total verkorkst. Robert hält mir immer lange Vorträge über mangelnde Selbstliebe und dadurch bedingte Projektionen auf den Partner.« Sie lachte. »Ich glaube, es war eine dumme Idee, einen Psychiater zu heiraten. Immer will er, dass wir über Probleme reden . Widerlich. Und was ist jetzt dein Problem, Herzchen?«
»So genau weiß ich das gar nicht«, sagte ich ehrlicherweise und senkte dann meine Stimme. »Ich frage mich nur … Ach, es könnte sein, dass wir einfach nur zu wenig Sex haben, Felix und ich. Und das liegt nicht an mir. Na ja, höchstens zu zehn Prozent.«
»Oh«, machte Eva. »Aber wir reden hier nicht über Impotenz, oder?«
Ich schüttelte heftig den Kopf, was Eva natürlich nicht sehen konnte.
»Oder darüber, dass du aufgehört hast, dir die Beine zu rasieren, bei offener Tür pinkelst und mit Lockenwicklern schlafen gehst?«
»Nein. Es ist mehr … als ob er Sex einfach nicht wichtig findet, weißt du?« Obwohl ich beinahe flüsterte, schien es, als ob sich beim Wort »Sex« alle Leute in diesem Supermarkt zu mir umgedreht hatten. Ich flüchtete mit dem Einkaufswagen in einen weitgehend menschenleeren Gang mit Konserven. »Als ob ich ihn jedes Mal daran erinnern müsste, dass da ja noch was ist … dass ich noch da bin.«
»Felix ist eben so ein zerstreuter Professor-Typ, genau wie Robert«, sagte Eva. »Der vergisst auch völlig, dass Henri und ich existieren, sobald er das Haus verlässt. Das merkt man daran, dass er vom Einkaufen genau einen Joghurt mitbringt. Erst wenn er mich in seiner Küche stehen sieht, fällt es ihm wieder ein. Ach ja, stimmt, Eva gibt es ja auch noch, wie schön. Und wir haben ein Kind miteinander, cool, jetzt erinnere ich mich
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