Auf der anderen Seite ist das Gras viel gruener - Roman
Schweres auf dem Boden ab. Oh mein Gott. Ich schaute mich hektisch nach einem Gegenstand um, mit dem ich mich bewaffnen konnte. Alles, was ich sah, erschien mir nutzlos. Ich konnte einen Einbrecher wohl kaum mit Toilettenpapierrollen bewerfen oder mit Badekugeln in die Flucht jagen. Und es war zwar bestimmt nicht angenehm, »Un Jardin sur le Nil« in die Augen gesprüht zu bekommen, aber der Zerstäuber hatte keine besonders große Reichweite, und am Ende würde der Einbrecher nur besser riechen als vorher. Wenn es mir aber gelänge, mich ganz leise bis zum Schrank zu schleichen und die Haarschneideschere aus der Schublade zu nehmen … Vorsichtig, um nur ja kein Geräusch zu machen, erhob ich mich. Jetzt schien es mir, als würde der knisternde Schaum einen Höllenlärm veranstalten.
Der Einbrecher wähnte sich offensichtlich allein in der Wohnung, denn ich hörte ihn pfeifen, während sich seine Schritte eindeutig der Badezimmertür näherten. Schon bewegte sich die Klinke abwärts …
»Stehen bleiben!«, rief ich. »Ich bin bewaffnet, und die Polizei ist bereits unterwegs.« Jetzt erst kam mir der Gedanke, wirklich die Polizei anzurufen, das Telefon lag ja gleich neben mir auf der Ablage. Aber da hatte sich die Tür schon geöffnet, und der Einbrecher streckte seine fiese Einbrechervisage in den Raum hinein und musterte mich von oben bis unten. Verblüffenderweise sah er genauso aus wie mein Schwager, Felix’ Bruder Florian.
»Kati? Ich dachte, es ist keiner zu Hause. Ich habe zweimal geklingelt.«
»W… was zur Hölle machst du hier?«, quietschte ich und tauchte, so schnell ich konnte, zurück in die Wanne. »Seit wann hast du einen Wohnungsschlüssel?«
Florian trat ganz selbstverständlich ins Badezimmer ein und warf automatisch einen Blick in den Spiegel. Mein Schwager sah haargenau wie Felix aus, allerdings wie eine gebügelte Version von Felix. Seine lockigen Haare hatten den gleichen hellbraunen Farbton, seine Augen waren ebenfalls grau und seine Augenbrauen von Natur aus widerspenstig. Aber Florian ließ sie in einem sauteuren Männerkosmetikstudio zupfen, und deswegen waren sie nicht unordentlich und zerstrubbelt, sondern beeindruckend männlich. Überhaupt war an ihm auf den ersten Blick jede Menge beeindruckend männlich, von seinen perfekt sitzenden Designerklamotten bis hin zu seinem markanten Gesicht, auf dem selbst die Falten so wirkten, als hätte sie jemand mit Photoshop bearbeitet, um ihnen haargenau die richtige Tiefe zu geben.
»Felix hat mir den Schlüssel gegeben, damit ich den Whisky für Gereons Geburtstag hier abliefern kann«, sagte er jetzt so lässig, als würden wir uns beide im Wohnzimmer gegenübersitzen. »Ich habe wirklich Hammerflaschen ersteigern können. Einen 1939er Linkwood und einen 1948er Glenlivet – beide eigentlich vergriffen, und ich habe sie zu einem absoluten Schnäppchenpreis ergattert.« Er strahlte, und es schien mir, als würden seine gebleachten Zähne den Raum erhellen, quasi als Spotlight. Mit beiden Armen schaufelte ich Schaum über meine Brüste und starrte ihn finster an. Aber das störte ihn nicht weiter.
Jeder Mensch bereitet uns auf irgendeine Weise Vergnügen: der eine, wenn er ein Zimmer betritt, der andere, wenn er es verlässt.
Hermann Bang
»Gereon wird ausflippen, wenn er die sieht«, fuhr er fort. »Und weil ich so viel gespart habe, konnte ich gleich noch bei einer Sechserkiste fünfundzwanzig Jahre alten Maccallan zuschlagen! Ist zwar insgesamt alles ein bisschen teurer geworden als geplant, aber Felix wird es voll verstehen. Erstens ist Gereon unser bester Freund, und zweitens haben wir ja auch was davon. Ich wollte sie eigentlich schon heute Mittag vorbeibringen, aber es ist ein bisschen später geworden.«
Ich versuchte, noch finsterer zu gucken. Auf der Unsympathen-Skala lag Florian in etwa gleichauf mit meiner Chefin und Felix’ Exfreundin Lillian (genannt DIE EX), aber von denen konnte ich wenigstens behaupten, dass sie mich noch nicht nackt gesehen hatten.
Florian reichte mir ein Handtuch. »Der Wahnsinn, oder? Der 25er Maccallan von 1971, und dann gleich sechs Flaschen.«
»1971? Du darfst mich gerne ertränken, aber meiner Rechnung nach ist das vierzig Jahre her, keine fünfundzwanzig«, sagte ich, während ich das Handtuch ignorierte, so gut ich konnte. Er glaubte doch nicht etwa, dass ich jetzt vor seinen Augen aus der Wanne stieg und mich abtrocknete?
Florian verdrehte die Augen. »Du hast natürlich keine
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