Auf der anderen Seite ist das Gras viel gruener - Roman
seiner Geistesabwesenheit.
»Flirtest du eigentlich manchmal mit anderen Frauen, Felix?«, fragte ich schließlich geradeheraus.
»Was? Ich?« Er blinzelte mich an, und für einen kurzen Moment verschwand die Sorgenfalte von seinem Gesicht. »Na klar, ich habe da einen ganz heißen Flirt mit Frau Hegemann von Zimmer 62 B laufen. Sie ist sechsundachtzig, aber noch ausgesprochen rüstig. Wäre da nicht die Sache mit ihrem Herzen.«
»Aber mal angenommen, da wäre eine junge, attraktive Patientin auf deiner Station. Oder eine junge attraktive Ärztin. Oder eine junge attraktive Schwester.« Ich machte eine kurze Pause, wohl wissend, dass es im Krankenhaus von attraktiven Ärztinnen und Schwestern nur so wimmelte. »Und angenommen, eine von denen würde dich auf einen Kaffee einladen. Würdest du dich mit ihr treffen?«
Felix sah verdutzt aus. »Warum will diese attraktive, junge Frau denn einen Kaffee mit mir trinken gehen?«
»Tja, das könntest du ja nur herausfinden, wenn du die Verabredung annehmen würdest«, sagte ich. »Also würdest du?«
»Ich gehe jeden Tag mit attraktiven, jungen Frauen einen Kaffee trinken oder einen Salat essen, wenn man es genau nimmt«, sagte Felix. »Und matschige Ravioli.«
»Ich meine nicht die Mittagspause, ich meine eine richtige Verabredung«, sagte ich ungeduldig. »Eine attraktive Frau, eine, die dir richtig gut gefällt, fragt dich, ob du dich mit ihr auf einen Kaffee treffen möchtest. Oder einen Wein, je nachdem. Was sagst du?«
Felix überlegte. »Ich würde sie fragen, warum sie mich treffen wollte.«
Ich zog erstaunt eine Augenbraue nach oben. »Ehrlich? Das würdest du dich trauen? Ich würde eher im Boden versinken, glaube ich.«
»Warum das denn? Die will doch mit mir einen Kaffee trinken, nicht umgekehrt. Also, warum fragt sie mich jetzt?«
»Weil … weil sie dich einfach gerne näher kennenlernen würde?«
»Und wozu?«
»Ja, was weiß denn ich?« Mir riss allmählich der Geduldsfaden. »Weil sie dich attraktiv findet und nett und … mal ein bisschen Spaß haben möchte. Ich frage ja nur, ob du dich mit ihr treffen würdest.«
»Tja, ich weiß nicht so recht. Ist ihr denn klar, dass ich verheiratet bin?«
Ich stöhnte. »Ist das so wichtig?«
»Irgendwie schon, oder? Ich meine, welche Art Spaß möchte sie denn mit mir haben? Und warum?«
»Ach, Felix!« Ich war versucht, eine Gabel nach ihm zu werfen.
»Was denn? War das etwa keine Fangfrage?«
»Nein, das war wirklich ernst gemeint.«
»Na gut. Aber trotzdem: Ich möchte meine Zeit nicht damit verplempern, mit anderen Frauen einen Kaffee zu trinken, warum auch immer. Ich hab doch dich, Eselchen!« Er grinste mich an, und ich konnte nicht anders, ich musste zurückgrinsen. Ungefähr fünf Sekunden lächelten wir einander an, dann kehrte die Sorgenfalte zwischen seine Augenbrauen zurück.
Er erhob sich. »Hättest du was dagegen, wenn ich mich noch eine Weile vor den Computer setze? Der Patient von vorhin ist offiziell austherapiert, und die Krankenkasse zahlt keine weitere Chemo mehr. Ich möchte nachschauen, ob es nicht eine Studie gibt, in die ich ihn einschleusen könnte. Er ist erst dreiunddreißig und hat gerade ein Kind bekommen, und er möchte so gern noch etwas Zeit. Ich kann ihn einfach nicht … Verstehst du?«
Alles nimmt ein gutes Ende für den, der warten kann.
Leo N. Tolstoi
»Ja«, sagte ich. Natürlich verstand ich das. Wie sollte man das eigene Glück genießen, wenn man das Unglück eines anderen immer im Hinterkopf hatte? Ich wollte um nichts in der Welt mit Felix tauschen. »Ich warte im Bett auf dich.«
Wir würden uns wundern, wenn wir aus einer Flasche mit tausend Zahlen die Zahl 1000 ziehen würden; die Chance, dass wir die 457 ziehen, beträgt aber auch nur 1:1000.
Laplace
Für Gereons Party zog ich das sexy graue Kleid an, das ich neulich zusammen mit den wunderschönen Samtrosen-Pumps vorgeblich einfach mal so gekauft hatte, in Wirklichkeit aber für genau diesen Anlass. Es war mir nämlich – obwohl ich seit Jahren dagegen anzukämpfen versuchte – sehr wichtig, in Gereons Gegenwart gut auszusehen und ihm zu beweisen, dass Felix mit mir einen guten Griff getan hatte, zumindest äußerlich betrachtet.
Was Gereon völlig unverhohlen und meist lautstark bezweifelte. Wo der Bruder von Felix schon unsympathisch war, toppte ihn sein bester Freund Gereon noch um Längen. Ähnlich wie Florian war Gereon überzeugt davon, eine echte Bereicherung für die
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