Auf der anderen Seite ist das Gras viel gruener - Roman
Taxifahrer und half mir mit dem Whisky beim Aussteigen. »Warum tu ich mir das eigentlich an? Es werden hundert Leute da sein, die mich von früher kennen und beleidigt sind, weil ich mich nicht mehr an sie erinnere.«
»Besser als umgekehrt«, sagte ich.
»Wenn auch nur einer sagt, ich sei aber groß geworden, hau ich ab«, murrte Amelie, als wir uns in die Schlange vor der Tür einreihten.
»Wenn auch nur einer sagt, ich sei aber dick geworden, komme ich mit«, fügte Marlene hinzu, was die Frau vor ihr dazu veranlasste, sich umzudrehen und Marlene gründlich von oben bis unten zu mustern. Sie selber sah aus, als habe sie seit einem halben Jahr keine feste Nahrung mehr zu sich genommen.
»Es sind achtundsechzig Kilo«, sagte Marlene zu ihr. »Unterwäsche mit eingerechnet.« Da drehte die Frau sich schnell wieder um.
Leider hatten die beiden Türsteher eine Gästeliste und winkten uns widerspruchslos durch. Schade, schade.
Die Bar war eine von diesen typischen Edelholz-Kronleuchter-Eichenparkett-Dingern, in denen man sich sofort nach einem Spiegel umsieht, um zu überprüfen, ob der Lippenstift nicht auf den Zähnen klebt. Fetzen melancholischer Klaviermusik drangen zu uns herüber, und der trübselige, monotone Gesang dazu legte sich wie ein dunkler Umhang um meine heute ohnehin schon nicht besonders fröhliche Aura.
»Ich suche Papa«, sagte Amelie, nachdem wir unsere Mäntel an der Garderobe abgegeben hatten – gegen kleine Papierabschnitte mit Nummern drauf, denn unfassbarerweise hatte Gereon auch eine Garderobiere engagiert.
»Und ich suche Alkohol«, sagte Marlene.
Ich wollte als Erstes die unhandlichen Whiskyflaschen loswerden und bahnte mir hinter Amelie her einen Weg durch die Menge. Bestimmt hatte Gereon wieder irgendwo einen protzigen Geschenketisch aufstellen lassen. Von Spenden für einen guten Zweck wie andere Leute, die bereits alles hatten, hielt er offenbar nichts. »You filled my heart with tears.« Oh mein Gott, diese Blues-Songs waren immer so entsetzlich traurig. Wie hielten die Leute nur diese Musik aus? »Go break some other heart in two, guess I’m a fool falling in love with you.« Oder so ähnlich. Die Sängerin hatte so eine schöne Stimme. Wieso konnte sie nicht was Fröhlicheres singen? Ich war noch keine drei Minuten in diesem Raum und schon war mir nach Heulen zumute.
»Wo ist denn Felix?« Das war Florian, eine lächelnde Blondine in einem traumhaft schönen, grünen Cocktailkleid im Arm.
»Muss noch arbeiten. Kommt aber gleich«, sagte ich. »Hallo, Holly. Tolles Kleid.«
»Ich bin Sabrina«, sagte die Blondine, weiterhin lächelnd.
»Oh.« Ich fragte nicht, was aus Holly geworden war, denn ich war mir nicht mal sicher, ob sie nicht Dolly geheißen hatte. »Dann … hallo Sabrina, nett dich kennenzulernen. Ich bin Kati.«
»Meine Schwägerin«, erklärte Florian. »Die den teuren Whisky in Zeitungspapier eingewickelt hat.« Er zeigte anklagend auf die Päckchen in meinem Arm. »Ich fasse es nicht. Sind dir die Aldi-Tüten ausgegangen oder was?«
»Also, ich finde das cool«, sagte Sabrina. »Vintage, sehr chic.«
»Aha?« Florian sah verunsichert aus. Ich lächelte Sabrina dankbar an und schämte mich für all die hässlichen Dinge, die ich in der kurzen Zeit unserer Bekanntschaft bereits über sie gedacht hatte. Nur weil sie so einen katastrophalen Geschmack in Sachen Männer hatte, musste sie ja keine blöde Kuh sein. Und vielleicht war das Lächeln sogar natürlich und nicht ins Gesicht operiert.
»Könntest du mir die Flaschen netterweise abnehmen, Florian?« Ich möchte mich nämlich gern mit freien Händen zur Cocktailbar durchschlagen, bevor mich diese Musik endgültig in den Selbstmord treibt.
Florian hatte offenbar nichts dagegen, seine ersteigerten Kostbarkeiten persönlich zu überreichen, weshalb ich vier Minuten später einen perfekten Daiquiri in der Hand hielt, mit Limettensaft, den der Barkeeper vor meinen Augen frisch ausgepresst hatte. Ich nahm einen tiefen Zug durch den Strohhalm und lehnte mich erleichtert gegen den Tresen. Zwei, drei von denen, und ich würde vielleicht doch bis elf Uhr durchhalten. Vorausgesetzt, die Sängerin machte zwischendurch mal eine Pause. Wo war Marlene? Wie ich sie kannte, irrte sie bereits mit zwei Cocktails durch den Raum und suchte nach mir. Am besten, ich blieb einfach hier, da würde sie früher oder später bestimmt auftauchen. Und Felix hoffentlich auch.
Ich ließ meine Blicke über die vielen Gesichter
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