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Auf der anderen Seite ist das Gras viel gruener - Roman

Auf der anderen Seite ist das Gras viel gruener - Roman

Titel: Auf der anderen Seite ist das Gras viel gruener - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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gereicht. Ich habe keine Ahnung, was das mit mir machen wird, aber vielleicht bekomme ich paranoide Anfälle und sehe überall Eichhörnchen!«
    Auch wenn Mathias nicht sofort verstand, wie man aus Versehen einen Haschbrownie essen konnte, erwies er sich als äußerst hilfreich. Wir verabschiedeten uns völlig ordnungsgemäß, und er schob das etwas verfrühte Aufbrechen elegant auf seinen Jetlag. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, die Party vor ihrem Ende zu verlassen, zumal DIE TANTE noch blieb, aber wenn ich nicht ging, war es am Ende noch ich selber, die diese Hochzeit ruinierte, und das durfte auf gar keinen Fall passieren.
    Auf der Fahrt zum Hotel versuchte Mathias, mich zu beruhigen. »Die meisten Menschen werden einfach nur relaxt und ein bisschen müde von Marihuana. Im besten Fall kicherst du die ganze Zeit vor dich hin, im schlimmsten wirst du melancholisch. Aber das macht nichts, ich bin ja bei dir.«
    Ich war untröstlich. »So hatte ich mir das eigentlich nicht vorgestellt«, jammerte ich, aber Mathias lachte nur.
    Das Hotelzimmer war nicht unhübsch, vor allem wenn man bedachte, dass es das letzte in der ganzen Region gewesen war und mit meiner Kreditkarte schreckliche Dinge angestellt hatte. Als die Wirkung des Brownies einsetzte, war ich gerade im eleganten Marmorbad dabei, mir die Zähne zu putzen und mich umzuziehen. Zuerst gab es nur ein paar visuelle Effekte: Der Spiegel sah plötzlich aus wie das Tor zu einer anderen Welt, und die Halogenstrahler begannen zu tanzen. Und dann – flash! – weitete sich der Horizont, und das Universum flutete mein Bewusstsein und schaltete Synapsen in meinem Gehirn frei, die bis dahin noch nie benutzt worden waren.
    Dafür wurden jede Menge andere lahmgelegt. Zum Beispiel die Fähigkeit, auch nur einen einzigen Gedanken für mich zu behalten. Ich musste alles, was mir durch den Kopf ging, laut aussprechen. Aufgeregt riss ich die Badezimmertür auf. »Der Obdachlose war nicht Jesus«, rief ich Mathias entgegen. »Denn wenn er Jesus gewesen wäre, hätte er den Menschen keine Angst gemacht mit seinem Gerede vom Ende der Welt! Angst ist so kontraproduktiv. Angst macht unser Leben kaputt. Ich habe immer Angst vor allem gehabt. Zum Beispiel davor, nicht liebenswert genug zu sein, nicht gut, nicht hübsch, nicht klug genug. Vierundzwanzig Stunden am Tag Angst! Das muss man sich mal vorstellen. Dabei bin ich absolut liebenswert. Und gut und hübsch und klug genug!« Ich folgte Mathias’ Blick und schaute an meinem Körper hinab. Ich trug nur noch einen Slip, aber das machte überhaupt nichts, denn ich war wunderschön! Von Kopf bis Fuß wunderschön und begehrenswert. Zum ersten Mal in meinem Leben stand ich nackt vor einem Menschen und zog dabei nicht den Bauch ein. Selbst wenn ich einen gehabt hätte, hätte ich das nicht getan. »Wir sind alle gut genug! Oder wir könnten es sein, wenn wir endlich aufhören würden, Angst zu haben. Ist das nicht unglaublich?«
    Mathias nickte und kam mir einen Schritt entgegen, um mich in die Arme zu nehmen. »Ja, wirklich unglaublich«, murmelte er in mein Haar.
    »Du riechst so gut! Weißt du eigentlich, wie viele Schmetterlinge in meinem Bauch leben, seit ich dich kenne?«, fragte ich. »Und dass ich dir schon seit Wochen sagen will, dass du die schönsten Augen der Welt hast, wie klare Bergseen oder Saphire und Opale oder Meeresbuchten in der Karibik und Tante Erikas Samtvorhänge? Hab mich nur nie getraut, weil es so kitschig klingt und ich Angst hatte, dich zu verschrecken und mich zu blamieren, das ist überhaupt immer und überall meine größte Angst: Dass ich auf andere Menschen nicht positiv wirken könnte, dabei ist das doch vollkommen gleichgültig, weil die Leute ohnehin denken, was sie wollen, aber für diese Erkenntnis musste ich erst einen Brownie essen, und jetzt kann ich nicht aufhören zu reden, das ist ein bisschen blöd, es stört mich selber, aber guck, wenn ich den Mund zumache, dann muss ich ihn sofort wieder öffnen und einen neuen Gedanken rauslassen …«
    Mathias tat das einzig Richtige, um mich zum Schweigen zu bringen: Er küsste mich. Und er hörte die nächste Stunde nicht damit auf. Und wenn er es zwischendurch doch tat, sagte ich lauter Dinge, die ihm zu gefallen schienen.
    Huch! Das Papier hat schon dreimal die Farbe gewechselt. Ich muss ein bisschen damit haushalten, es gibt hier nur drei Blätter, und ich habe dir so viel zu sagen, Felix! Hör auf, ein zuverlässiges, hilfsbereites

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