Auf der anderen Seite ist das Gras viel gruener - Roman
erste Mal den Beinamen Stirb langsam verliehen. Wie grausam war das Schicksal eigentlich, dass es mich da gleich zweimal hinschicken wollte? Und überhaupt – hatte es da nicht gegen seine eigenen Gesetze verstoßen? Sollte Mathias den doofen Gereon nicht erst im Jahr 2011 wiedertreffen, um dann auf seinem 40. Geburtstag aufzutauchen und mir den Kopf zu verdrehen? Andererseits war er ja nun meinetwegen früher als geplant aus Chile zurückgekehrt, und das wiederum hatte natürlich die ganze Ereigniskette durcheinandergebracht …
Mathias seufzte, während er ein lässiges, einhändiges Überholmanöver startete, bei dem ich sicherheitshalber die Augen schloss. »Du glaubst nicht, was so Ärzte für ein Leben führen. Wenn man Gereon – das ist der Schulfreund – glauben darf, dann muss man da nur die halbe Woche arbeiten und kann den Rest der Zeit auf dem Golfplatz herumhängen und anderen Hobbys frönen.«
Als da wären: Hanteltraining, Frauen aufreißen, Glatze polieren, Segeln, auf blöden Whisky-Auktionen herumgammeln, den besten Freund mit seiner Freundin betrügen … oh Gott, ich musste diesen Brief abfangen! Felix würde ohnehin kein Wort davon verstehen.
»Du bist so still, Kati Kartoffel! Tut der Kopf weh?« Mathias sah mich aufmerksam von der Seite an, und das bei zweihundert Stundenkilometern.
»Nein!« Guck nach vorne. »Aber ich denke, ich hab heute Nacht genug geredet – das reicht jetzt erst mal für eine Woche.«
Mathias lachte. »Ach bitte, rede noch ein bisschen mit mir, wir sehen uns die ganze Woche nicht, und da werde ich dich sehr vermissen. Oh, und ich hab ganz vergessen, dir das zu erzählen: Am Mittwoch habe ich ein Vorstellungsgespräch in Berlin!« Er nannte den Namen eines internationalen Konzerns. Zufällig exakt den, bei dem er im Jahr 2011 als Personalchef arbeitete. »Wenn das klappt, kann ich auch ein Penthouse kaufen.«
»In Berlin?«, fragte ich ein bisschen schockiert.
»Natürlich in Berlin.« Wieder sah er mich von der Seite an. »Berlin ist toll! Kennst du die Stadt ein bisschen? Und … wer weiß … könntest du dir vorstellen, dort zu leben …? Ich meine, nur für den Fall?«
»Ähm«, sagte ich. Wie meinte er das denn? Nur für den Fall, dass er die Stelle bekam? Oder nur für den Fall, dass wir zusammenblieben?
Ohne meine Antwort abzuwarten (und leider auch ohne vom Gas zu gehen), redete er weiter: »Das wäre mein absoluter Traumjob. Der Headhunter hat mich angerufen, als ich in Santiago war, und ich war sofort wie elektrisiert. Ich wusste, ich muss das einfach versuchen …«
»Dann bist du also gar nicht meinetwegen früher zurückgekommen?«
Mathias nahm seine rechte Hand wieder vom Lenkrad, um mir damit durch das Haar zu wuscheln. »Doch – natürlich, Kati Kartoffel. In erster Linie deinetwegen.«
Jetzt war es an mir, ihn aufmerksam von der Seite anzuschauen. Mir wurde klar, wie wenig ich ihn eigentlich bisher kannte. »Sag mal – magst du eigentlich Katzen?«, fragte ich.
»Ja.« Er lächelte. »Nur nicht diese mageren, schielenden Siamkatzen, die sind mir unheimlich. Meine Schwester hatte mal so eine, die hat mich immer so durchbohrend mit ihren großen Augen angeschaut, als wüsste sie genau, was ich denke.«
»Und was ist mit Hunden?« Ich schaute ihn durchbohrend mit großen Augen an.
Sein Lächeln vertiefte sich. »Die mag ich auch. Außerdem Kinder und alte Leute und, äh, Delfine … – Test bestanden?«
»Fürs Erste«, sagte ich und lehnte mich zurück in den Sitz. »Die Einweihungsparty ist am Samstag, ja?« Teufel noch, dann würde ich ja schon wieder was Neues zum Anziehen brauchen. Und meine Kreditkarte würde weinen.
Drama is life with the dull bits cut out.
Alfred Hitchcock
Zuerst klingelte ich bei Felix, um sicherzugehen, dass er noch nicht zu Hause war. Niemand öffnete, natürlich nicht. Auch in dieser Parallelwelt kam er wohl nie pünktlich aus dem Krankenhaus weg. Anschließend klingelte ich bei Frau Heidkamp. Die drückte grundsätzlich auf den Türöffner, ich musste nur »Post!« in die Gegensprechanlage schreien, und schon war ich im Hausflur. Die Briefkästen waren links neben dem Treppenaufgang angebracht, hässliche braune Metallboxen mit schmalen Schlitzen und scharfen Kanten, die der Grund dafür waren, dass Felix und ich das Abonnement der Süddeutschen gekündigt hatten, weil wir es leid waren, jeden Morgen in mühevoller Kleinarbeit all die zerquetschten und zerrissenen Seiten
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