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Auf der Flucht

Auf der Flucht

Titel: Auf der Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hellmuth Karasek
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Bilderbuch, ein Norddeutscher wie mit Kümmel und Korn großgezogen, den Wiener Professor spielte, Bernhardi, ein weiteres alter Ego des Autors der »Traumnovelle« und des »Reigens«, der hier einen politischen Albtraum vorweg träumt, scheinbar als salonfähiges Problemstück.
    Als der »Reigen« endlich die urheberrechtliche Sperrfrist hinter sich gelassen hatte, war er längst durch viel radikalere Tabubrüche auf der Bühne und im Film überholt – scheinbar überholt. Er ist bis heute ein Meisterstück über menschliche Entfremdung im scheinbar Intimsten.
     
    Ich bin 1969 nach Hamburg zur »Zeit« gekommen. Mein Kollege, mit dem ich auch noch besonders freundschaftlich zusammenarbeiten sollte, war Dieter E. Zimmer, mit dem mich bis heute ein – wenn auch manchmal jahrelang schlum merndes – enges Einverständnis verbindet. Wir tauschten damals unsere Träume und Albträume aus – vor allem als wir uns bei der »Ermittlung« von Peter Weiss in Ostberlin trafen. Zimmers Akribie, die seine Emotionen nie abstumpfte, verdanken wir eine deutsche Nabokov-Ausgabe, die ein Wunderwerk zäher, liebender, philolo gischer Genauigkeit ist.
     
    Tübingen
     
    Wenn ich im heißen Sommer 2003 unter einer schier afrikanischen Glut im Schatten eines Sonnenschirmes in einem Restaurant in Eppendorf sitze, dann habe ich für eine kurze Zeit die Illusion, dass sich in den gut fünfzig Jahren, die ich in Westdeutschland lebe, so gut wie nichts geändert hat. Dieses Gefühl ist falsch und richtig zugleich: richtig, weil jede Gesellschaft auf ihren Trägheitsmomen ten beruht, auf ihren Beharrungskräften besteht, die sich gegen jede Veränderung wehren. Sie setzen dem Neuen Tradition, der Veränderung Herkommen entgegen. Man spürt, während man die Zeiten durchlebt, stärker ihre Fliehkräfte; erst mit Abstand erkennt man, wie stark die Beharrungen waren, stoisch wie Steine. Gut, ich bin gut fünfzig Jahre älter als der Achtzehnjährige, der nach Tübingen kam, ich habe eine Enkelin, die in Hamburg auf die Internationale Schule geht und so gut Englisch wie Deutsch spricht, meine Tochter studiert für ein Gastsemester an der Sorbonne in Paris, mein jüngster Sohn – gerade hat er Abitur gemacht – ist in Quito in Ecuador, lernt Spanisch, verliebt sich in hübsche dunkelhaarige kleine Südamerikanerinnen, die zu ihm, einem über eins achtzig großen blonden Riesen, hochschauen. Er hat sich dazu entschieden, Waisenkinder zu betreuen, für ein Jahr. Zum »Bund« musste er nicht, weil seine größeren Brüder zwar beide den Wehrdienst verweigert hatten, aber Zivil dienst ableisteten, den er nun, freiwillig, als dritter Sohn, in Quito als eine Art Bildungsurlaub absolviert, als einen (vorübergehenden?) Abschied von einem kulturell anstren genden Elternhaus, in dem der Vater sich (auch noch prominent) mit Literatur beschäftigt und die Mutter Theater kritikerin ist – Kultur und ihre Society-Verpflichtungen hängen ihm zu den Ohren heraus; so sagt er das nicht, so denkt er vermutlich nur.
    Sein großer Bruder, über zwanzig Jahre älter als er, hat eine südamerikanische Mutter wie sein zweiter großer Bruder, der in Berlin lebt und schreibt, für den Vater und vor allem gegen ihn. Der älteste Sohn ist Intendant in Kiel, die beiden mögen sich, trotz des Altersunterschieds. Niko, der jüngste, versteht sich mit seinen großen Brüdern und liebt seine drei Jahre ältere Schwester, obwohl er eine völlig andere Gesellschaft sucht als sie.
    Als ich mit meinem großen Sohn Daniel allein lebte (seine Mutter war mit seinem Bruder Manuel nach Südamerika zurückgekehrt), ist er mir einmal – da war er vierzehn Jahre alt – wie in Panik davongelaufen, als ich ihn am Abend in eine Theaterpremiere mitnehmen wollte. Jahre später, nach Lehrjahren in Köln, bei Jürgen Flimm, und als Assistent von Luc Bondy, hat ihn Ivan Nagel, damals Intendant in Stuttgart, ans Schauspielhaus geholt. Dort inszenierte er sehr erfolgreich, als seine Feuertaufe, Goethes »Tasso«. Und ich habe ihm, mit sich geboten ironisch gerierender Eitelkeit, nach der Premiere gesagt, bis jetzt sei er der Sohn eines erfolgreichen Vaters gewesen, jetzt sei ich der Vater eines erfolgreichen Sohnes. Das war eine Replik auf meine Frage, wie er sich denn in Stuttgart fühle, aus der Zeit, als er dort zu leben begonnen hatte. Daniel hatte mir als Antwort seine Arme entgegengestreckt, die Hände gespreizt, mit den Handtellern Maß genommen und eine Distanz von etwas über einen

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