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Auf der Flucht

Auf der Flucht

Titel: Auf der Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hellmuth Karasek
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Vergänglichkeit, das sich auch unseren Todesahnungen näherte. Auch wir krochen aus den Trümmern eines Dreißigjährigen Krieges mit niedergebrannten Städten und Gehöften, mit geplünderten und gebrandschatzten Dörfern. »Memento mori« war auch nach dem Zweiten Weltkrieg eine ständig sichtbare Losung, als Mahnmal in die deutsche Nachkriegslandschaft geschrieben:
     
    Ich seh' wohin ich seh / nur Eitelkeit auff Erden
    Was dieser heute baut / reist jener morgen ein
    Wo jtzt die Städte stehn so herrlich / hoch und fein
    Da wird in kurtzem gehen, ein Hirt mit seinen Herden
    Was jtzt so prächtig blüht / wird bald zutretten werden
    Der jtzt so pocht vnd trotzt / läßt vbrig Asch und Bein
    Nichts ist / daß auff der Welt könt vnvergänglich seyn
    Itzt scheint des Glückes Sonn / bald donnerts mit beschwerden
    Der Thaten Herrligkeit, muß wie ein Traum vergehn
    Solt denn die Wasserblaß / der leichte Mensch bestehn
    Ach! was ist alles diß / was wir vor köstlich achten!
    Alß schlechte Nichtigkeit? alß hew / staub / asch vnd wind?
    Alß eine Wiesenblum / die man nicht widerfind.
    Noch wil / was ewig ist / kein einig Mensch betrachten!
     
    Der Zufall will es, daß, als ich diese Szene wieder las und neu abschrieb, die Kuppel der Frauenkirche wieder aufgesetzt wurde. Dresden hatte, im Sommer 2004, sechzig Jahre nach der Verwüstung, seine alte prangende und prunkvolle Silhouette wieder. Gäbe es nur diese neu erstandene barocke Pracht, wäre es für mich, symbolsüchtiger – also auch sentimentaler – Mensch, der ich bin, Grund genug zu sagen: Die Wiedervereinigung hat sich gelohnt! Gelohnt. Wenn auch nicht bezahlt gemacht.
    Durch diese Ruinenkulissen bin ich während meiner ersten Studienjahre durch die Nachkriegszeit gefahren, etwa bei Besuchen in Chemnitz und Leipzig oder, als ich, 1948, zum ersten Mal nach Berlin kam, eine nur schwach mit glimmendem Licht beleuchtete Stadt, deren S-Bahn-Züge an Wüsteneien und verwaisten Ruinen vorbeiratterten. Aber während auf den verwüsteten Grundstücken Gras und Unkraut zwischen den Steinen und Steinhalden wucherten, waren die Ziegelhaufen schnell geordnet – ich habe die Trümmerfrauen außer in der Wochenschau nie bei der Arbeit gesehen, aber ich habe gesehen, wie sich in Deutschland das Chaos ordnete. Wer davon heute einen Eindruck gewinnen will – sowohl von der Verwüstung und Zertrümmerung wie vom ordnenden Überlebenswillen –, sollte sich die ersten Szenen von Billy Wilders leider selten gezeigtem Nachkriegsberlinfilm »A Foreign Affair« anschauen – da gibt es Luftaufnahmen, wie sie die Air Force 1945 gedreht hat, eine schier endlose Landschaft der Zerstörung, und da gibt es das wiedererwachte Leben in notdürftig hergerichteten Unterkünften, in denen Balken die vom Einsturz bedrohten und geflickten Wände stützen, Wasser in Eimern geholt wird, der Schwarzmarkt zwischen den Ruinen blüht, Menschen wie Gebäude verkrüppelt, Armstümpfe, Mauerreste.
    Oder der Carol-Reed-Film »Der dritte Mann«, der in den rauchschwarzen Trümmern Wiens spielt, wo das Leben aus Schlupflöchern, Höhlen, Trümmerstätten düster hervorgrinst, sardonisch aus zahnlosen Mäulern, aus hungrigen Augen, blinden Augenhöhlen, zurückgezogen in den Untergrund der Kanalisation – dieser wahrhaft barocke Film (barock im Geiste seines Endlichkeits- und Vergänglichkeitsbewusstseins) ruft für mich jederzeit die damalige Stimmung wach – vor allem die keifende Wirtin, die in ohnmächtiger Wut auf die eindringenden russischen, französischen, englischen und amerikanischen Militärpolizisten einredet, die sie nicht einmal verstehen, in der zerbrochenen Pracht eines Stadtpalastes, der notdürftig zum Leben hergerichtet ist, eher düstere Höhle als Prachtbau, beschreibt für mich die Stimmung und Atmosphäre der Nachkriegsjahre so eindringlich, dass sie als lebendige Erinnerung in mir aufsteigen.
     
    Wieder waren wir unterwegs, wieder herrschte Geplärr und Gestank, die Welt schien hier nur mehr aus Frauen, Kindern, Greisinnen und Greisen und Krankenschwestern zu bestehen, zwischen denen sich einige Halbsoldaten der Organisation Todt oder Nazis in kanariengelben Uniformen – die »braunen« Uniformen wirkten neben dem Feldgrau und Feldbraun eher lächerlich gelb, seltsam unpassend zu der abgerissenen Tristesse der stets zu dick angezogenen Zivilisten, die mehrere Kleiderlagen über den Leib gezogen hatten: was man anhatte, das hatte man schon mal.
    Zuerst strandeten wir auf dem

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