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Auf der Flucht

Auf der Flucht

Titel: Auf der Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hellmuth Karasek
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wir den ganzen Tag und die ganze Schulzeit umgeben waren, die »Ami, go home!« lauteten, obwohl es doch bei uns zu meinem Leidwesen keine Amis gab, die »home« hätten gehen können. Wie gerne hätten wir ihre Kaugummis um die Wette lässig durch unsere Zähne bewegt. Kaugummis, die sie uns geschenkt hatten, vorher. Um uns aufzunehmen in die wunderbare freie Welt der Kaugummikauer. Stattdessen waren wir eingekreist von Losungen des Friedenskampfs, von der Solidarität, von der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft, von Stalin, der als bester Freund des deutschen Volkes lang leben sollte, ebenso lang wie die Deutsch-Sowjetische Freundschaft. Und die Werktätigen, sie sollten heraustreten zum t. Mai, auf dass die Deutsch-Sowjetische Freundschaft unverbrüchlich bestehen bleibe und der Sozialismus siege, weil er siegen müsse. Dagegen setzte ich – nicht einmal sonderlich bewusst – am Freitagabend mein »Bab, bab, bab, baberabababab!«. Und obwohl ich ärmlich angezogen war und das Lokal unvorstellbar schäbig und billig, gehörte es mit seiner swingenden Tanzmusik einfach zur Welt und nicht zu dem engstirnigen, offiziellen Sozialismus.
    Später habe ich miterlebt, wie bei den Schwabinger Krawallen, den Beatles- und Stones-Konzerten im Münchner Circus Krone, in der Berliner Waldbühne die Fans das Gestühl zerlegten und in Brand steckten, weil die Stones zu wenig Zugaben spielten, und ich bekam beim Aussteigen aus der U-Bahn einen Gummiknüppel über die Schulter gezogen. Das war die Revolte von Bob Dylan und Crosby, Still, Nash and Young, für deren Konzert ich von New York ins Nassau Colosseum gefahren bin, das war die Musik von Jimi Hendrix, der Aufstand von Woodstock, eine Musikrevolte, langhaarig zotteliger, schlacksiger Jeans-Träger, die sich gegen Amerika richtete, obwohl sie aus Amerika kam, aus einem schwarzen Amerika, einem Amerika der Beatniks, der Leute on the Road, der Vietnamkriegsgegner, der Mao-Fans – »Are you ready folks!«
    Der Siegeszug des Jazz, des Swing nach 1945 war anders, er zeigte ein siegreiches Amerika in Uniform. Glenn Miller, wenn er die American Patrol spielte, »In the mood«, den »Song of the Wolga Boatmen«, wurde als »Herr Major« angesprochen und sein wunderbar schmalzig singender Sergeant Johnny Desmond wurde für die deutschen Zuhörer als »Herr Feldwebel« vorgestellt, bevor er »Long Ago and Far Away« sang. Amerikas Musik, das war die Musik der Soldatensender – und nach 1989, nach der Wiedervereinigung, befiel mich ein Phantomschmerz wie von einem amputierten Glied, als der AFN weitgehend zu senden aufhörte. Wie hatte mich seine Musik, während ich studierte, begleitet. »Bouncing in Bavaria«, »There is music in the air«, »Lunchen in München«, was sich wie »Lanschen in Manschen« anhörte. Es gab Hawaii-Programme und welche mit schrecklichen Polkas, mit Country Music für Lastwagenfahrer aus der Opry in Nashville und es gab die »Crooner« (Schmacht- und Schmalzsänger, mein perfektester »Crooner« ist Dean Martin – bis heute), bis sich aus ihnen Frank Sinatra erhob, dessen Herrschaft dann bis zu den Beatles dauerte und – nach dem Ende der Beatles-Manie – darüber hinaus. Auch wenn ich zwischen all den Jahren von 1950 bis heute von Zeit zu Zeit Sinatra abschwor, indem ich ihn auf einmal als »spießig« abtun wollte – er ist bis heute »mein« Sänger (»The Voice«) geblieben: »One for My Baby« (and One More for the Road) ist bis heute »mein« Song – den ich, wenn ich je hätte singen können, gern gesungen hätte. Wie Sinatra. Vielleicht auch, weil ich wusste, dass es für Mozarts Figaro, Graf Almaviva, Don Giovanni, Leporello ohnehin nicht gereicht hätte! Es hat auch – klar! – für Sinatra nicht gereicht, weder vorne noch hinten.
    Eines Tages, es muss 1958 gewesen sein, da war ich schon in München, veranstaltete das Blatzheim-Nachtlokal »Tabu« einen Frank-Sinatra-Wettbewerb. Ich beteiligte mich, stieg auf das Podium und begann mit aller Inbrunst Cole Porters »Night and Day« zu singen, und als dann die Stelle kam:
     
    Day and night / under the hide of me
    There's oh such a yearning burning inside of me
     
    mit den herrlichen Reimen »under the hide of me / burning inside of me«, merkte ich, dass ich den Song zu hoch intoniert hatte, so dass ich an dieser Stelle ins Krächzen kam und meine Stimme sich überschlug. Ich hörte auf und verließ verstört und mit hochrotem Kopf die Bühne. Meine Karriere als Sinatra-Epigone war beendet,

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