Auf der Silberstrasse 800 Kilometer zu Fuss durch die endlosen Weiten Spaniens
Herberge, nur eine so genannte „Notunterkunft“ im Rathaus, im Versammlungsraum des Ortes. Im Raum stehen die Tische und Polstersessel, in denen sonst der Bürgermeister und seine Räte Platz nehmen. Auf dem Boden liegen zwei blaue Matratzen, die aber schon belegt sind. Wir anderen, wir sind heute zu sechst, müssen auf unseren Isomatten auf dem nackten, harten Steinboden schlafen. Wir sind zwei Spanier, zwei Franzosen und zwei Deutsche. Einer der Spanier, ein drahtiger Kerl, ist 71 Jahre alt.
Valdesalor ist ein moderner, sauberer, weißer Ort, eine „Schlafstadt“ von Cáceres. Es gibt kein Hotel, keine Möglichkeit, etwas einzukaufen, kein Restaurant. Gegenüber der Kirche gibt es aber eine Bar, wo ich mich unter die Arkaden in den Schatten setze. Ich trinke erst einmal drei eiskalte Bier hintereinander, bis mein Durst gelöscht ist. Die trockene Luft und der heiße Wind trocknen einen richtig aus und man muß viel trinken, bis man sich wieder frisch fühlt. Ich fühle mich immer erst einmal wie ein trockener Schwamm, der nur langsam wieder feucht wird. Dafür hat man ja auch alle Zeit der Welt. In diesen schläfrigen Orten ist sonst nichts los. Ich trinke, schreibe Tagebuch und rauche. Diese Bars allerdings sind immer laut und fröhlich. Die Jungs sind wild und hart, die Mädels bunt und verführerisch. Sonst gibt es hier nichts.
Um halb neun Uhr gehe ich mit den zwei Franzosen und dem Katalanen aus dem Ort heraus an die Carretera, wo es ein Restaurant gibt, in dem man essen kann. Eine Szene wie in New Mexico: die breite lärmige Carretera, zwei bunte weißrote Texaco-Tankstellen rechts und links der Straße, ein riesiger Parkplatz und drumherum gelb verbrannte Ödnis. Im Restaurant dröhnt die ganze Zeit ohrenbetäubend der Fußball aus dem Fernsehen.
Die Stadt der Konquistadoren
Samstag, der 20.Mai, von Valdesalor
nach Cáceres, 11,8 Kilometer,
gesamt 287,2 Kilometer
14. Wandertag
Die Nacht war grauenvoll. Auf der 5 Millimeter dicken Isomatte habe ich kaum geschlafen. Ständig habe ich mich von einer Seite auf die andere gewälzt und doch jeden Knochen gespürt. Alles tut mir heute Morgen entsprechend weh. Das Hühnerauge ist endlich raus, dafür schmerzt mir wieder die rechte Sehne, die verstauchte. Morgens, wenn es noch kalt ist und die Sehnen steif, spüre ich es am meisten. Ich humpele dann richtig, auf meinen Stock gestützt. Ab zehn Uhr, wenn ich warm geworden bin, geht es dann besser. Heute muß ich wieder mit meiner Binde laufen, gestern war ein langer Weg, dafür sind es heute nur kurze 11,8 Kilometer, knappe drei Stunden.
Bis Cáceres ist es eine langweilige und öde Gegend. Auf einem flachen Plateau in der Wildnis muß ich den Flughafen des Aeroclubs von Cáceres überqueren. Weiß gestrichene Blechschuppen schmoren in der Sonne, die Landebahn, die der Jakobsweg rechtwinklig kreuzt ist eine rotbraune Kiespiste, benutzt wird der Flughafen heute nicht. Irgendwelche Sicherheitsvorkehrungen, bis auf ein verbeultes halb verrostetes Warnungsschild, gibt es auch nicht. Zwischen dem Flughafen und der Stadt endlos durch Industrie, Schutt und Vorstädte. Das weiße Cáceres, das ich heute Morgen schon am Vormittag sah, will nicht näher kommen.
Dann endlich die Plaza Mayor mit den vornehmen, weißen Häusern auf beiden Seiten. In einer Arkade kommen mir unerwartet Hans und Annique entgegen. Welch eine Freude! Sie waren mir einen Tag voraus und haben gestern einen Tag Pause gemacht. Ich kann es immer wieder kaum fassen, wie Santiago uns Pilger wieder zusammen führt, als wisse er genau, wen er wann und wo zusammen bringen will.
Nur eine Minute später und wir hätten uns nicht getroffen. Doch er will, daß wir uns treffen, und so führt es uns genau in dieser Sekunde an diesem Ort zusammen. Es tut gut zu wissen, daß man in guten Händen ist. Es macht einen sicher und nimmt einem die Furcht allein in fremdem Land. Als Jakobs Bruder ist man nie allein, immer wieder bringt er seine Kinder zusammen.
Sie zeigen mir gleich eine einfache Pension gegenüber, wo ich für 15 Euro wohne. Die beiden Herbergen sind noch geschlossen. Wir sitzen eine Stunde bei einem Salat zusammen und freuen uns, daß wir uns wiedergefunden haben. Sie laden mich zu sich ein, im nächsten Jahr in Montpellier, wenn ich auf der Via Tolosana vorbeikomme. Sie gehen leider heute noch weiter nach Casar de Cáceres. Ob wir uns auf diesem Weg noch einmal wiedersehen werden, wissen wir nicht. Es sollte aber dennoch am Ende meiner
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