Auf der Silberstrasse 800 Kilometer zu Fuss durch die endlosen Weiten Spaniens
Hände seiner Freunde, setzt sich steif und etwas verquer auf den Stuhl als säße er auf seinem Traktor. Einfache, bescheidene Welt. Samstagabend, Feierabend, die Freunde, ein Bier.
Ein Vater treibt zwei Pferde an meinem Tisch vorbei. Auf einem Apfelschimmel mit geflochtener Mähne sitzt ein junges Mädchen mit rosigem Gesicht, ihr Bruder kommt als zweiter auf braunem Rappen vorbei. Stolze, junge Gestalten mit strahlenden, gesunden Gesichtern. Welch ein Gegensatz zu den Horrorgestalten heute Mittag auf ihren Science-Fiction-Maschinen. Eine Welt – zwei Gesichter. Die schöne, gute Welt und die verkommene böse. Auf meinem Weg erlebe ich beide innerhalb weniger Stunden. Der Weg, ein Abbild des Lebens.
Aus der Bar klingt Rock Musik der Sixties, der Padrón mit seinen langen Haaren, die unten herum schon weiß werden, ist wohl auch aus dieser Zeit. Neben meinem Tisch dampfen die warmen Leiber der Pferde, die ungeduldig mit den Hufen scharren, bis der Bauer sie durch das große Holztor in den Hof und den Stall getrieben hat. Weiße Wolken quellen über den Kirchturm. Alle Pilger sind weg, sie mögen das Volksleben wohl nicht. Also bleibe ich eben allein.
Ich speise wie ein König. Die Bauern trinken nur Bier, sie essen später zu Hause. Der wacklige Tisch auf der schiefen Betongasse wird mit einer weißen Papierdecke gedeckt, der bestellte Weißwein „Veliterra“ wird in einer roten Coca-Cola Schüssel voll Eis auf den Tisch gestellt, daneben ein edles Weißweinglas. Ich speise ein Purré – eine sämige Kartoffelsuppe – den üblichen grünen, selbstgemachten Salat mit Spargel, kalten Eiern und Paprika und Pollo – ein Huhn – kreuz und quer gehackt, einschließlich der Knochen, in einer fettigen Ölsoße, mit Gewürzen in der Pfanne geschmort. Hier kriegt man kein geschmackloses, tiefgefrorenes Hähnchen aus dem Supermarkt. Die anderen aus der Herberge sind wie immer nicht da, sie kochen sich lieber selbst etwas oder essen Brot und Wurst.
Teil 3
Das Land der Ritter
Durch Kastilien
„Nueve meses de invierno y tres meses de infierno“
Neun Monate Winter und drei Monate Hölle
(Spanisches Sprichwort)
Don Blas
Sonntag, der 28. Mai, von Calzada de Béjar
nach Fuenterroble de Salvatierra,
20,9 Kilometer, gesamt 447,6 Kilometer
21. Wandertag
Allein laufe ich wieder in den kühlen, taufrischen Morgen. Feuchtnasse Wiesen mit Steineichen und Mäuerchen. Es ist alles wieder grün geworden auf dieser Nordseite des Gebirges, grün und Blumen überall. Es geht sachte bergab, die Berge treten allmählich zurück, lange sehe ich noch die Schneeflecken unter den hohen Gipfeln, über denen sich bald im Süden dicke Wolkentürme zusammenballen.
In Valdelacasa komme ich kurz vor Mittag an einer überraschend modernen Bar vorbei. Es ist Zeit für ein Bier und eine Cola, die beiden Holländer und Marguerita sind schon da. Morgens bin ich immer mit meinen Schmerzen allein, die anderen brechen früh auf, dafür gehe ich auch abends später zu Bett. Vier Pilger – drei Charaktere: zwei essen in der Bar zu Mittag – die Holländer – eine läuft ohne Pause weiter – Marguerita, die harte – einer legt sich unter den Baum in die blühende Wiese.
Ich beobachte eine Ameise. Ameisen sind Mörder. Sie betäubt mit dem Biß ihrer kräftigen Zangen einen dreimal so großen Käfer und schleppt und zerrt ihn durch das hohe Gras. Die Grashalme sind für sie so hoch wie Bäume und stehen so dicht beieinander, daß oft kein Durchkommen ist für sie mit ihrem dicken schwarzen Käfer. Irgendwie schafft sie es immer wieder, einen Durchschlupf zu finden.
Den Käfer läßt sie nie los, zerrt ihn mal in die eine, mal in die andere Richtung. Wie sie wohl ihren Bau findet in diesem Gräserurwald? Man wird so klein, liegend im Gras, das einen überragt, so wie die Ameise auch. Mutter Erde nimmt einen wieder zurück in ihren Schoß. Die anderen tauchen nicht ein in diesen Traum. Sie gehen nur lachend vorbei, grüßen und fotografieren den Träumer in seiner Gräserwelt.
Der Ort Fuenterroble empfängt mich, wie mich nun alle Orte in Kastilien empfangen werden. Am Ende der verbrannten Steppe öffnet sich zwischen geschmacklosen, billigen Neubauten eine schnurgerade Straße, der Belag wechselt von braunem Kies zu braunem Teer, die Häuser sind ebenfalls braun, mit rotem Wellasbest gedeckt, kleine Aluminiumfenster in abweisenden Wänden, die Türen vom Baumarkt. Vorbei sind die schneeweißen, sauberen Städtchen Andalusiens und
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